Allgemein

Trending: Der verlorene Verstand

Manchmal, wenn ich mich in diesen Tagen so umschaue, frage ich mich, ob wir, die Crazies, ein bisschen besser präpariert für den Wahnsinn sind, der sich gerade überall ausbreitet. Wenn man sich der eigenen Wahrnehmung ohnehin nicht so sicher ist, wenn man seine Kräfte genau einteilen muss, um zurecht zu kommen. Dann sind die politische Unwucht, die wachsende Hysterie und der sich immer noch nach oben drehende Lärmpegel vor allem nur noch weitere Punkte auf der Liste der Dinge, die man kaum aushält. Gegen die man tätig werden muss. Weil das Verständnis und die Begründungen für den guten Willen aufgebraucht sind. Weil eine Linie gezogen wurde, liebe CSU. Wenn es also doch erstmal keine bayerische CDU geben wird, der man auf die Beine helfen sollte, schließt man sich halt endlich den anderen an. Sepp Daxenberger war ein ungewöhnlicher Grünen-Politiker – weil er so traditionell bayerisch war. Er ging zu früh und seine Stimme fehlt bis heute. Als wäre die CSU automatisch das Auffangbecken für all diejenigen von uns, die Tradition erhalten wollen, die begreifen warum sich Dinge auf dem Land langsamer oder sogar anders verändern. An ihn musste ich in diesen Tagen oft denken. Daran, wie sehr so eine Figur, ein Gegengewicht zu den Betonköpfen auf der anderen Seite fehlt. Also nicht länger fragen, wo die Bayern bei den bayerischen Grünen sind, sondern sich die Sache mal von innen anschauen. Meine Muskeln schmerzen, die Schultern sind ganz hart. Seit Tagen, vielleicht seit Wochen. Etwas zerrt an mir, drückt mich nach unten. Gerade, als ich mich an das Gewicht des schweren dunklen Mantels gewohnt hatte, der aus meinem Kopf heraus fließt. Kommt auch noch die Welt ums Eck und will beachtet werden. Die Malaise, sie hat den Punkt der Spürbarkeit erreicht. Mit Immunsystem und Hormonen, die Schlitten fahren, ein einziges Gebrülle um meine Aufmerksamkeit. (Psychosomatisch my ass. Ich habe Pickel, Schmerzen und bin schwächlich. Kann ich nicht einfach so schlaf- und appetitlos sein wie andere? Blass und müde, meinetwegen, aber müssen es immer gleich Dinge sein, die Ärger machen? Keinen Sinn für wahre Theatralik, dieser Körper.) Natürlich, ich könnte mich all dem widmen, den Rest der Welt ausblenden. Haha. Den Rest der Welt ausblenden. So ein Blödsinn. Um mich herum raubt die Neon-Wirklichkeit denen den Atem, die eigentlich alles richtig machen und nur ein ordentliches Leben führen wollen. Wenn ich denen ein Stück meines Irrsinns leihen kann, um zu helfen, selbstverständlich. Zwischen all der Wut und Überforderung ist am Ende ohnehin nur noch für ein paar Kleinigkeiten Platz. Für das Adrenalin eines stattfindenden Fußballturniers. (Go Belgien go!) und für die rührigen Absurditäten, die man so findet. Gott segne Mama Donnerhall, die meine Aufmerksamkeit auf eine dieser Absurditäten in Form einer Todesanzeige lenkte. https://twitter.com/DonnerBella/status/1015922235444473856 Alles, aber auch alles an diesem kleinen Ausschnitt ist faszinierend. Vor allem, was dort alles nicht steht. Keine lange Liste an Verwandten, die sich verabschieden (die Recherche ergab auch keine anderen Anzeigen irgendwo, bei denen sie gelistet wären.), keine emotionale Bindung zu einer geliebten Tante, Schwester oder ähnliches. Der Neffe, wohl alleiniger Auftraggeber überschreibt sich zwar mit Liebe und Dankbarkeit, aber das erst nach dem Hinweis, dass doch bitte von quasi aller sichtbarer Trauer abzusehen sei. Nicht mal ihre, so wird hier angedeutet, vielen Auszeichnungen sollen Erwähnung finden. Nicht einmal in den seriösen Kreisen, in denen sie doch hochgeschätzt war. Es ist Sonntagnachmittag, als ich die Kuriosität auf Twitter poste, während ich Kaffee trinke und Prinzregententorte (!) esse. Und Twitter is coming through. Was eine Parte ist? Das hier. https://twitter.com/mingo713/status/1015928312756162560 Wer Maria Fernanda war? Darüber wissen wir erstaunlich wenig. Jahrgang 1927, kommt sie als Tochter der Infantin Elisabeth von Portugal und Franz Joseph, Prinz von Thurn und Taxis zur Welt. Dessen Mutter war Margarete Klementine von Österreich, aus dem ungarischen zweig von Habsburg-Lothringen. Maria Fernanda hat einen älteren Bruder, Gabriel, der in Stalingrad fällt und zwei ältere Schwestern. Elisabeth Helene und Maria Theresia. Helene heiratet den Grafen Rudolf Erwein von Schönborn-Wiesentheid – die Ehe wird geschieden und annulliert. Maria Theresia heiratet Franz Eduard, Graf von Oppersdorf. Ihr Sohn wird später die Traueranzeige für Maria Fernanda schalten. 1950 heiratet sie Prinz Franz Josef von Hohenzollern, bereits 1951 wird die Ehe geschieden und kurz darauf annulliert. (Franz Josef, Prinz von Hohenzollern war wohl keiner für die Ehe. Drei Monate nach der Scheidung heiratet er Diane Marguerite Bouorbon-Parma, lässt sich aber wieder scheiden und die Ehe annullieren.) Maria Fernanda heiratet nie wieder. 1966 adoptiert sie in New York eine Tochter. Marian Editha Theresia von Thun und Taxis stirbt aber bereits 2012. In ihrer Traueranzeige steht nur ein Name, der von Maria Fernanda. Und wenn Sie jetzt sagen: Bella, ist das nicht ein bisschen viel Interesse an einer verblichenen Adligen? Aber natürlich ist es das, da haben Sie vollkommen recht. Nur: Die geschiedene Maria Fernanda, eine echte Thurn und Taxis, adoptiert in den 60er Jahren, allein, eine 5 Monate altes Mädchen in den USA und von beiden hört man erst wieder, als sie nicht mehr da sind. Es werfe bitte den ersten Stein, dessen Phantasie da keine Flügel bekommt. (Wenn sie mal ein paar Stunden mit wirklichem Nonsens zubringen wollen, der aber irgendwie historisch ist: http://forum.alexanderpalace.org/ . Hier tauschen sich Menschen über mehr oder minder alle Königshäuser und Adelslinien aus, die man so finden kann. Wahnsinn.) Aber ich schweife ab, weil am Ende hatte Twitter nochmal einen richtigen Kick für mich. Oben, in der Todesanzeige, wird (für mich selbstverständlich) ein Kontakt zum Erhalt von Gedenkbildchen, also Sterbebildern angeboten. Als auf Twitter aber mehrere Nachfragen auftauchen, worum es sich bei diesen Gedenkbildchen handelt, scheine ich da einer mittelschweren Entdeckung auf der Spur. Ein kleiner Thread. (idealerweise liest man auch einige der Antworten.) https://twitter.com/DonnerBella/status/1015979466269560835 Annähernd 33 Jahre musste ich werden, um zu lernen, dass das Standardritual des Sterbebildes mehr so eine Ur-katholisch-alpine Sache ist. Altbayern, das katholische Franken, Baden und der Schwarzwald, Südhessen und die Eifel, Österreich, Italien. Der Rest der Republik? Schüttelt mal wieder den Kopf, weil’s das nicht braucht. Auch einen Tag später weiß ich noch nicht wohin mit meiner Fassung. Meine Twitter-Mentions eskalierten den Rest des Abends vor sich hin, wie ich das sonst nur von regionalen Unterschieden bei Gebäck kenne. Als ich mit meiner Schwester beim Beerdigungs-Institut saß und wir durch Kataloge mit Motiven und Versen blätterten, bis es für uns passte. Wie man auch dafür das richtige Foto heraussuchen musste. Würden 250 Stück reichen? Schließlich gibt man der Verwandtschaft einen großen Stapel mit, der im Heimatdorf an die verteilt werden kann, die zu spät davon erfahren haben oder nicht zur Beisetzung kommen konnten. JA WIE DENN SONST? Diese Sorte selbstverständliche Kleinigkeit, aus deren Summe am Ende unsere Welt besteht, wenn sich eine solche als überhaupt gar nicht selbstverständlich rausstellt, dann fühlt es sich an als würde jemand einen Faden aus der Realität ziehen, einen, der das ganze Gewebe auftrennen könnte. Vielleicht bin ich momentan noch empfindlicher als sonst für diese Dinge. Sehe noch schneller, wenn da Fehler in der Matrix sind. Aber irgendwo zwischen der verlorenen Geschichte von Maria Fernanda, der Lücke die Sepp Daxenberger hinterlassen hat und einem Leben ohne eine Schublade voller Sterbebilder fange ich an mich zu fragen, welche Dinge ich in meinem Leben als gegeben, sogar notwendig ansehe, obwohl sie es gar nicht unbedingt sind. Ich war so jung und so lange depressiv, dass ich Jahre gebraucht habe, um aus den Ruinen meine tatsächliche Persönlichkeit zusammen zu bauen. Ein Konstrukt, das nicht von Dunkelheit und Trauer zusammengehalten wurde. Jetzt ist beides wieder da und sie fügen sich viel zu einfach in all die Fugen und Risse, füllen Löcher auf und legen sich wie eine Schicht über all die Fragmente aus denen ich über viele Jahre eine Zukunft gebaut hatte. Wenn ich alles noch einmal aufsammeln und zusammensetzen muss, worauf könnte ich nicht verzichten? Und was würde ich dieses Mal darin haben wollen, das bis jetzt fehlt? Mir fehlt jetzt schon der Enthusiasmus für all die Umstände, die sich ändern werden müssen.
Allgemein / listendings

1000 Fragen / 1-25

Meine Güte, das ist hier in letzter Zeit Content-mäßig schon auch eher... puh. Gott segne das Internet als immerwährenden Generator für neue Methoden der mehr oder minder unterhaltsamen Nabelschau. Ursprünglich gesehen bei der Kaltmamsell, hab ich den kompletten Katalog hier gefunden. Ich weiß noch nicht ,ob ich das regelmäßig hinkriege, aber zumindest zwischendurch, wenn das mit den Schatten im Kopf ansonsten überhand nimmt, sollte es gut passen. 1. Wann hast du zuletzt etwas zum ersten Mal gemacht? Da erinnert man sich ja ungünstigerweise immer eher an die großen Sachen. Bestimmt hab ich vor kurzem irgendwas zum ersten Mal gekocht oder etwas gelernt oder wasweißich, aber spontan denke ich: Anfang Januar hab ich das erste Mal eine Beerdigung organisiert, einen Todesfall mit allem Papierkram abgewickelt. Die geühlte zweite Phase des Erwachsenendaseins eingeläutet. 2. Mit wem verstehst du dich am besten? Ach du gute Güte. Mit mir selbst, befürchte ich. 3. Worauf verwendest du viel Zeit? Worst-Case-Szenarios konstruieren. Oder sagen wir mal, grundsätzlich eine lebhafte Phantasie haben und Dinge in Gedanken durchspielen. 4. Über welche Witze kannst du richtig laut lachen? Es gibt diesen etwas makabren Humor in der tiefen Alpenregion. „Du kost‘ no ned sterm, I hob koan schwarzn Mantl.“ Funktioniert immer. 5. Macht es dir etwas aus, wenn du im Beisein von anderen weinen musst? Als jemand dem die Heulerei selbst allein etwas ausmacht, aber Hallo. 6. Woraus besteht dein Frühstück? Arbeitstage: Cappucchino im Thermobecher für den Zug. Alle anderen Tage: Je nach Laune und Wetter Butterbrezn, Kaba und Semmel (mit Maroni-Aufstrich!) oder Obst. Mangos zum Frühstück als kleiner Luxus. 7. Wem hast du zuletzt einen Kuss gegeben? Ich schwöre da waren welche dazwischen, aber der letzte signifikante war an Weihnachten der Abschiedskuss für meinen Vater. Es sollte der letzte sein. (Ich sollte das alles vielleicht nochmal beantworten, wenn ich weniger zermürbende Themen habe?) 8. In welchem Punkt gleichst du deiner Mutter? „5 Minuten vor der Zeit, ist die rechte Pünktlichkeit“ - was mich eher nervt, weil ich nie entspannt irgendwo ankomme und eine gewisse Machtlosigkeit gegenüber gut sortierten Buchläden. Dafür könnten wir in allen anderen Belangen nicht unterschiedlicher sein. 9. Was machst du morgens als Erstes? Ans Ende vom Bett krabbeln, die Vorhänge aufziehen und nachgucken, wie der Inn heute aussieht. Wenn es noch dunkel ist, die Welt verfluchen. 10. Kannst du gut vorlesen? Einerseits: Diverse Menschen sagen, ja, kann ich. Andererseits neigen dieselben Menschen auch dazu einzuschlafen während ich lese. 11. Bis zu welchem Alter hast du an den Weihnachtsmann geglaubt? Christkindl, zefix. Puh, so richtig kann ich mich nicht daran erinnern daran geglaubt zu haben. Meine Tante war ja immer mit dem Christkind im Raum, wenn es die Geschenke verteilt hat. Aber ich mochte das Ritual mit der geschlossenen Tür und dem Glöckchen. Haben wir gemacht bis ich ungefähr 10 war, glaub ich. 12. Was möchtest du dir unbedingt irgendwann einmal kaufen? Ein Zuhause, das mir niemand mehr nehmen kann. Aber das hat eher etwas mit Sicherheitsbedürfnis zu tun als mit dem Wunsch nach Besitz. Vielleicht ein großes, luxuriöses Bett? Ein Flugticket nach Kapstadt. Eine Eismaschine. Aber so wirklich ernsthaft fällt mir nix ein. 13. Welche Charaktereigenschaft hättest du gerne? Geduld. Leicht vergeben können. 14. Was ist deine Lieblingssendung im Fernsehen? Wir haben ja den Punkt erreicht, wo ich meinen Serienkonsum gar nicht mehr als „fernsehen“ einstufe, sondern eher als eigene Art von Medienkonsum. Fernsehen ist eher linear, eher sachlich. Capriccio im BR, Druckfrisch, öffentlich rechtliche Nachrichten. (Vielleicht nicht am liebsten, aber am wichtigsten.) 15. Wann bist du zuletzt in einem Vergnügungspark gewesen? Einem was? Oder zählen hier Volksfeste? Dann vor einigen Tagen Mitte Juni. 16. Wie alt möchtest du gern werden? Ach, ach. Wenn ich der 16jährigen Bella gesagt hätte, dass wir jetzt 33 werden, wäre sie schreiend davon gelaufen. Das war nicht der Plan. Jetzt scheint 50 unvorstellbar, von 70 ganz zu schweigen. Dummerweise neigen die Frauen in der Familie zum Model 85+. Könnte sich also ziehen, unfreiwillig. 17. An welchen Urlaub denkst du mit Wehmut zurück? Kapstadt. Auch wenn das theoretisch eine Studienreise war. Diese Stadt, dieses ganze Land hat etwas magisches. Ich stand auf dem Tafelberg und blickte zum ersten Mal seit so langer Zeit optimistisch in die Zukunft. Es war tatsächlich alles möglich. Das will ich nochmal erleben. 18. Wie fühlt sich Liebeskummer für dich an? Ich kenne Liebeskummer nur aus der „hätte-wäre-wenn“ Perspektive, weil Timing und Umstände nicht meine Freunde sind. Das fühlt sich an wie verpasstes Glück. Wie noch eine große Sache, die mir alle anderen voraus haben, die alle anderen irgendwie zustande bekommen. Wie noch ein Makel. 19. Hättest du lieber einen anderen Namen? Nein. Neinneinnein, oh gott, nein. Wirklich nicht. (Außer einen Adelstitel. Aber dann wäre ich womöglich in der PR gelandet. Will ja auch keiner.) 20. Bei welcher Gelegenheit hast du an dir selbst gezweifelt? Dude. Wann denn nicht? 21. Ist es wichtig für dich, was andere von dir denken? Nein. Doch, natürlich. Aber ungern. Ich bin ein Fan von Ehrlichkeit, aber das kann auch schmerzhaft sein. Am Ende auch die Erkenntnis: Ich bin eitel genug, dass es mich hautpsächlich stört, wenn Leute gar nichts über mich denken. 22. Welche Tageszeit magst du am liebsten? Die Stunden um Mitternacht. Wenn nur wir übrig sind. Die Schlaflosen, die Eulen, die Nachtdenker und Dunkelbeschwörer, die sich aber zurückziehen bevor die lang feiernden aus den Clubs fallen und ins Morgengrauen lärmen. 23. Kannst du gut kochen? Ordentlich. Ein paar Sachen richtig gut, aber mit Luft nach oben. Ich traue mir momentan kaum ein komplettes Menü für eine größere Gruppe zu, von Suppen hab ich keine Ahnung, mit Hefeteig stehe ich auf Kriegsfuß (was die Sache mit den Dampfnudeln schwierig macht) und auch der Horizont muss noch erweitert werden. Das tendiert sehr in Richtung Bayern/Österreich/Italien. Kreolisch kochen steht auf der Bucket List. 24. Welche Jahreszeit entspricht deinem Typ am ehesten? Typ? So, optisch? Da bin ich, glaub ich, ein Winter. Aber ansonsten natürlich Herbst. Für immer goldener Herbst mit 15-23 Grad und ein wenig Wind. 25. Wann hast du zuletzt einen Tag lang überhaupt nichts gemacht? Je älter ich werde, desto schwerer fällt mir das. Weil eine Maschine mit Wäsche befüllen oder das Altpapier wegbringen geht ja doch immer noch fix. Oder Papierkram oder… Ich kann nicht entspannt nichts tun, wenn da Dinge zu erledigen sind.
Allgemein

(the help’s helped)

*Ja, hier hat's immer noch West Wing Referenzen. Es ist nicht ALLES anders. Ich schreibe ins Internet seit ich, puh, 14 bin. Seitdem begleiten mich auch Depressionen. Und vielleicht auch darum war es immer normal, dass ein Großteil der Menschen denen ich online begegnet bin, zumindest eine Ahnung davon hatte wie es ist, wenn man psychisch grad mal nicht voll auf der Höhe ist. Angststörungen, manische Phasen, Burn Out – die überwiegende Mehrheit meiner Bubble wusste damit etwas anzufangen. Es half, nicht nur weil man endlich Leidensgenossen hatte, sondern vor allem auch, weil man Sprachregelungen finden konnte, die klar gemacht haben was los war, ohne, dass man mit roten Pfeilen und in Neonschrift I’M NOT OKAY sagen musste. (Wobei es einen My Chemical Romance Song mit dem Titel gibt, also wurde das natürlich oft zitiert.) Die Blase ist in den letzten Jahren größer geworden, hat massiv expandiert. Trotzdem hatte ich bis vor kurzem noch den Eindruck, dass wir in Sachen „mental health“ alle dieselbe Sprache sprechen. Erst langsam und angesichts von leicht hilflos agierenden Menschen wird mir klar, es gibt sie, die Gesunden. Das ist… ungewohnt. Selbst dieses Blogdingsi wird ja mit wenigen Ausschlägen nach oben eher von einem kleinen Kreis gelesen – womit ich immer sehr gut leben konnte. Reichweite bedeutet mir tatsächlich gar nix. Es war immer ganz beruhigend, dass ich hier durchaus auch sehr persönlich schreiben kann, ohne, dass es „draußen“ Wellen schlägt. Weil Schreiben und dazu gehört auch das öffentliche Schreiben, ist Teil meiner Therapie. Das wird sich nicht mehr ändern. Es gibt immer wieder Ansätze für gesunde Menschen wie sie mit uns Angeschlagenen umgehen sollten. „How to care for the depressed person in your life“. Aber keiner erklärt einem als kranke Person wie man mit denen umgeht, die keine Ahnung von der Dunkelheit und den Schatten, den Selbstzweifeln und der unendlichen Leere haben. Erscheint einem ja auch kaum vorstellbar, dass so jemand wirklich existiert. Wie kann einen diese Welt nicht in den Wahnsinn treiben? Und wie erklärt man was mit einem los ist, ohne all die blumigen Metaphern und immer gleichen Vokabeln? (Sieh Dunkelheit, Schatten, Leere, etc.) Diese Lücke zwischen Wahrnehmung und tatsächlichem Empfinden ist gigantisch und mit Erklärungen kaum zu überwinden. Selbst meine Familie, empathisch und wissend um die Ereignisse die vieles ausgelöst haben, konnte nie so ganz begreifen was denn nun mit mir nicht stimmt. Eines Tages, kurz nach einem Umzug, stand meine Mutter am Fenster und sah wie sich schräg gegenüber im Gemeindezentrum/Ersatzkirche Menschen versammelten. Eine Beerdigung. Das junge Mädchen hatte sich das Leben genommen. Es war einer der wenigen Momente, als bei meiner Mutter ankam, wie verdammt nah sie selbst an einem solchen Szenario war. Ich stand da und wusste gar nicht was ich sagen sollte. So stark, so allumfassend war mein Wunsch danach gewesen nicht mehr zu existieren, dass es sehr drastische Momente brauchte, um mich ein wenig aus meinem eigenen Labyrinth zu holen. Damals war es, kurz vor der mittleren Reife, die Beerdigung eines Mitschülers, der bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. (Aufwachsen an einer bayerischen Bundesstraße – wenn ein Jahrgang bis zur Volljährigkeit niemanden verliert, ist es fast seltsam.) Ich weiß noch, dass ich in die Kirche ging und obwohl alles sehr traurig war, hatte ich es bis dahin ganz gut geschafft. Aber der Sarg war offen. Ein großer, schwerer Schalter in meinem Kopf legte sich um. Ich ging zurück nach draußen und erklärte meiner Klassenlehrerin, dass ich nicht im Stande war eine der Fürbitten zu lesen. Ich konnte nicht da vorne stehen, neben mir der Sarg. Er wurde zwar geschlossen, bevor die Messe begann, aber das Bild von einem damals 16jährigen darin lag, das hatte etwas in mir wachgerüttelt. So ganz erklären kann ich es bis heute nicht. Seine weinenden Eltern. Der große Bruder, der ihm so fürchterlich ähnlich sah. Nach der Beerdigung, wir legten alle eine Rose mit ins Grab, traf sich die Klasse noch irgendwo, wir tranken wahrscheinlich Johannisbeerschorle und wussten nicht recht, wie wir bis zu den Prüfungen wieder auf Normalität umstellen sollten. Als ich nach Hause kam, immer noch ziemlich wirr, machte Mama mir Suppe und ich schlief den Rest des Tages auf der Couch. Ich kann tagsüber eigentlich nicht schlafen. Nur, wenn ich krank bin. Die Konfrontation mit dem Tod als Impfung gegen die suizidalen Gedanken – also eigentlich das Gegenteil von dem, wovor sonst gewarnt wird. Insbesondere der Freitod gilt als geradezu ansteckend, zumindest unter denen, die sich ohnehin mit dem Gedanken tragen. Nach den letzten beiden, sehr öffentlichen Todesfällen (Designerin Kate Spade und Anthony Bourdain), habe ich gemerkt, dass meine gefühlte Immunität gegen solche Gedanken, gegen dieses Symptom, immer auch ein Stück Arbeit erfordern wird. Ich muss mich bewusst dagegen wehren. Dazu gehört ebenso der Blick auf die Gesunden, auch wenn diese „Empathie“ viel, unvorstellbar viel Kraft kostet. Wo man doch niemandem zur Last fallen, sich nicht aufdrängen will. Man stellt sich die anderen Leben vor, die leichter wären, wenn man nicht mehr da wäre. So viel unbeschwerter und besser. Die Chemikalien im Kopf unterschlagen in diesem Moment nicht nur die Trauer und den Aufwand, den das eigene Ableben verursachen würde, sondern vor allem die Belastung, die man damit den anderen auferlegt. Sie werden sich für immer fragen, ob man etwas hätte tun können. Ob es Zeichen gab. Es ist der vielleicht hinterfotzigste Trick, den diese Krankheit im Repertoire hat. Die falsche Rücksicht aufs Umfeld wird zum Argument für all die Dinge, die man tut. Zurückziehen, Verabredungen absagen, Kontakte abbrechen und schließlich über den eigenen Tod nachdenken. Dabei wird weniger das Sterben oder der Tod ins Zentrum gestellt, sondern die Nicht-Existenz. Als gäbe es nur ein kurzes Knacken, ein Blinzeln und man wäre weg, wie nie dagewesen. Nicht mal schwer depressive Menschen wollen sterben, also als Verb. Wenn man uns einfrieren und in 200 Jahren wieder auftauen könnte, vielleicht wären wir die ersten, die sich darauf stürzen. Also wir und die gelangweilten Milliardäre. Oder ein Austauschprogramm, bei dem jemand, der es zu schätzen weiß unser Leben bekäme und wir könnten, ich weiß auch nicht, einfach irgendwo sitzen und lesen. Ohne alles andere. Der alte Satz, dass Suizidgedanken einen nicht auf den Tod sondern auf ein anderes Leben hinweisen wollen, da ist im Kern eine Kleinigkeit dran. Aber Veränderungen sind schwer, anstrengend und überhaupt, das macht meistens auch noch Aufwand für Mitmenschen. Was man ja tunlichst vermeiden... Es ist kompliziert. Ich will nicht sagen, dass ich ein Rezept dagegen gefunden habe – oh Gott nein, es ist ein heftiger Kampf. Nichts von dem was ich tue, geschieht meinetwegen. Ich bin mir selbst dafür momentan nicht wichtig genug. Es sind die anderen. Die, die da sind. Unnachgiebig und konstant. Das ist neu, dieses mal. Einige von ihnen sprechen die Vokabeln, die man im Dunkeln lernt, manche nicht – aber sie wollen trotzdem klar machen, dass sie sich zwischen mich und die Dunkelheit stellen wollen. Here’s the thing: Es hilft. Ich mag es sonst nicht so formulieren und mich sogar dagegen wehren, aber millimeterweise verschiebt es etwas im Kopf. Da sein funktioniert, Zuhören funktioniert. Und sei es nur, weil die Mühe und der Aufwand dieser Menschen nicht umsonst gewesen sein soll. So viel leichter vielleicht alles ohne mich wäre, es wäre auch maximal ungehobelt denen gegenüber, die immer noch die Hand ausstrecken. Nichts an dieser Krankheit ist logisch. Sie arbeitet aktiv gegen den „gesunden“ Menschenverstand, gegen unseren Instinkt Leben zu wollen. Wenn schon nichts mehr Sinn macht, kann man auch unsinnigerweise auf die hören, die sagen, dass es Gründe gibt dazubleiben. So we soldier on. Nicht weil wir es gern tun, sondern weil es zumindest jetzt grade für die anderen weniger Aufwand ist, als sich zu fragen warum wir nicht mehr da sind. Festhalten, egal woran. Und sei es, um darüber zu schreiben, zu versuchen denen die diese Sprache nicht sprechen ein paar Grundbegriffe beizubringen.