Allgemein
365 and counting
Es gibt diese Tage, da starrt man auf den Kalender und irgendwo im Hinterkopf klickt es die ganze Zeit, aber man kommt nicht drauf. Man zieht es einige Stunden so mit sich rum und manchmal kommt man erst Tage oder sogar Wochen später drauf. Und manchmal geht man durch eine Drehtür und hat ein Déjà vu, das einen erstmal Luft holen lässt.
Heute war letzteres. Der 4. , das war letztes Jahr ein Montag. Der war grau und kalt und grässlich, besonders in Unterföhring. Dahin fuhr ich vom kleinen Innenstadt-Büro aus der fröhlichen Accelerator-Bubble zu einem anstrengenden und wenig produktiven Termin. Anschließend wollte ich noch dem Team Hallo sagen und irgendwo dazwischen meinte jemand, ich müsste noch etwas erfahren, es gäbe... Neuigkeiten.
Ein Foto vom grau-verschneiten Medienghetto hatte ich kurz vorher auf Twitter gepostet, durchaus erleichtert darüber sehr wahrscheinlich nicht so bald zurückkehren zu müssen.
Die Sache ging anders aus.
An dem Tag dachte ich darüber nach, dass ich jetzt ein Jahr im Unternehmen bin, mittlerweile sind es 2. Über Zeit und ungeahnte Möglichkeiten. Alles schien... offen.
Was mich selbst im Nachhinein noch verblüfft: So wenig mich die Nachricht über die kurzfristige Schließung des Accelerators geschockt hat (Start-ups härten ab), so sicher war ich mir im selben Moment, dass es erst der Anfang von größeren Veränderungen war. Es lag etwas in der Luft. Vielleicht passten auch zu viele Dinge nicht zusammen.
Genauso wie mir sofort klar war, dass ich vom High des freien Arbeitens an einer eigenen Idee erstmal ganz schön tief fallen würde. Wie tief es durch die spezifischen Umstände und alle Vorkommnisse die erst noch passieren würden sein sollte, davon hatte ich – gottseidank – keine Ahnung.
Quasi mit der Hiobsbotschaft (hätten die Messenger in der Bibel damals auch Bomberjacken getragen, der Mann wäre nicht so stoisch geblieben!) begann mein Kopf auch alles krampfhaft festzuhalten. Wie tausende von Polaroids sind Augenblicke und Details aus den letzten Wochen 2017 immer noch in meinem Kopf. Der Adventskalender auf dem Schreibtisch an den ich dann doch bereits im Januar zurückkehren würde, die plötzliche Stille mit der Zuhause die Tür hinter mir ins Schloß fiel. Der Blick einer Kollegin aus dem Accelerator am nächsten Tag, als ich anmerkte, dass es die schlechten Nachrichten schon vorab zu mir geschafft hatten – sie war schon eine Weile eingeweiht und plötzlich erlaubte sie sich wohl, dass man den Kummer darüber auch auf ihrem Gesicht sah.
Ich weiß noch wer was im Mariandl bestellt hat, erinnere mich an das absurde Gespräch mit dem jungen Founder und der Praktikantin ein paar Tage später, der wir erklärten was der Y2K-Bug war (Ja. So jung sind die jetzt.)
Noch eine Nachricht, noch eine Veränderung, um mich herum plötzlich überall Aufbruchspläne. Was doch so gar nicht sein durfte, nicht jetzt, wo ich wieder gescheitert war. Aber zu mehr als Ambivalenz war ich schon nicht mehr fähig. Das innere Abstumpfen begann schnell, vermutlich präventiv.
Manchmal frage ich mich, wie es gewesen wäre, hätte ich meinen Vater nicht verloren, während ich bereits komplett auf Autopilot lief, sondern womöglich mitten im Hoch nach einem erfolgreichen Pitch.
Wäre die Trauer eine andere gewesen? Andererseits, so konnte ich mich wenigstens nützlich machen.
Aber so weit sind wir noch nicht. Es ist Anfang Dezember und da ist dieses seltsame Vakuum. Man arbeitet an etwas von dem man weiß, dass es quasi keine Zukunft hat. Man bereitet Ergebnisse auf, präpariert einen Pitch, ins leere hinein. So müssen sich Fußballer fühlen, die schon abgestiegen sind.
An Tagen wie heute frage ich mich, ob das alles nur ein Fiebertraum war, ein Hirngespinst, es war ja auch zu gut. Meine Hybris, immer mal wieder zu denken ich wäre für ein größeres Leben bestimmt, in voller Blüte.
Ja, die Melodramatik will ich noch nicht ganz ablegen, es ist… schwierig.
Auch jetzt frage ich mich wieder welcher Teil von mir vielleicht grade auf Automatik umgestellt hat. Der frustrierende Stress der letzten Wochen schlägt sich im und am Körper nieder. Mein Lieblings-Phänomen von Stress --> weniger Essen --> mehr Cortison --> Klamotten sitzen enger hat wieder voll zugeschlagen und es sollte mich nicht so sehr grämen wie es tut. Ich hasse es, wie wenig mir dieser Organismus gehorcht, wie er in Haut und Haaren widerspiegelt, dass hier grade gar nichts stimmt, obwohl die Umstände eigentlich erträglich wären.
Man holt sich seine Dosis an Glücks-Hormonen wo man kann. Wird Mitglied einer Büchergilde, weil schöne, besondere Bände heute noch dieselbe Wirkung auf mich haben wie seit 25 Jahren. Außerdem ein Grund nächstes Jahr mindestens 4 mal in die Schuhkarton-große aber so wundervoll ausgesuchte Buchhandlung zu gehen. Wir brauchen Buchläden, fürs Seelenheil. (Abgesehen davon, dass diese Sachen wirklich, wirklich großartig sind und ich meine Abende momentan mit Mary Shelley verbringe. )
Päckchen schnüren, Geschenke ordern, Weihnachts-Dessert basteln. Ein Teil von mir würde die Wochen bis zum Jahresende gern allein und in Ruhe verbringen, nur beschäftigt damit für andere hübsche Dinge zu machen. Ich muss dann gar nicht dabei sein oder brauche große Gesellschaft, ich möchte einfache nur etwas beitragen. (Was Sie hier hören ist der in Lichterketten verkleidete dunkle Schlamm, ein Schattenmann der sich zu Weihnachten als Nächstenliebe selbst Selbsthass tarnt.)
So viel Zeit dieses Jahr habe ich unter Wasser verbracht, mit einem schwach funkenden Echolot auf der Suche nach einem Feedback, nach der Topologie dessen was übrig geblieben sein könnte. Ein bisschen fühlt es sich an, als würden mir kurz vorm Auftauchen die Kräfte ausgehen. Aber der restliche Sauerstoff muss noch bis zur Oberfläche reichen.
https://www.youtube.com/watch?v=TaaNhpyFCnc