Trending: Der verlorene Verstand

Manchmal, wenn ich mich in diesen Tagen so umschaue, frage ich mich, ob wir, die Crazies, ein bisschen besser präpariert für den Wahnsinn sind, der sich gerade überall ausbreitet.
Wenn man sich der eigenen Wahrnehmung ohnehin nicht so sicher ist, wenn man seine Kräfte genau einteilen muss, um zurecht zu kommen. Dann sind die politische Unwucht, die wachsende Hysterie und der sich immer noch nach oben drehende Lärmpegel vor allem nur noch weitere Punkte auf der Liste der Dinge, die man kaum aushält.

Gegen die man tätig werden muss.

Weil das Verständnis und die Begründungen für den guten Willen aufgebraucht sind. Weil eine Linie gezogen wurde, liebe CSU. Wenn es also doch erstmal keine bayerische CDU geben wird, der man auf die Beine helfen sollte, schließt man sich halt endlich den anderen an.
Sepp Daxenberger war ein ungewöhnlicher Grünen-Politiker – weil er so traditionell bayerisch war. Er ging zu früh und seine Stimme fehlt bis heute. Als wäre die CSU automatisch das Auffangbecken für all diejenigen von uns, die Tradition erhalten wollen, die begreifen warum sich Dinge auf dem Land langsamer oder sogar anders verändern. An ihn musste ich in diesen Tagen oft denken. Daran, wie sehr so eine Figur, ein Gegengewicht zu den Betonköpfen auf der anderen Seite fehlt. Also nicht länger fragen, wo die Bayern bei den bayerischen Grünen sind, sondern sich die Sache mal von innen anschauen.

Meine Muskeln schmerzen, die Schultern sind ganz hart. Seit Tagen, vielleicht seit Wochen. Etwas zerrt an mir, drückt mich nach unten. Gerade, als ich mich an das Gewicht des schweren dunklen Mantels gewohnt hatte, der aus meinem Kopf heraus fließt. Kommt auch noch die Welt ums Eck und will beachtet werden.
Die Malaise, sie hat den Punkt der Spürbarkeit erreicht. Mit Immunsystem und Hormonen, die Schlitten fahren, ein einziges Gebrülle um meine Aufmerksamkeit.
(Psychosomatisch my ass. Ich habe Pickel, Schmerzen und bin schwächlich. Kann ich nicht einfach so schlaf- und appetitlos sein wie andere? Blass und müde, meinetwegen, aber müssen es immer gleich Dinge sein, die Ärger machen? Keinen Sinn für wahre Theatralik, dieser Körper.)
Natürlich, ich könnte mich all dem widmen, den Rest der Welt ausblenden. Haha. Den Rest der Welt ausblenden. So ein Blödsinn. Um mich herum raubt die Neon-Wirklichkeit denen den Atem, die eigentlich alles richtig machen und nur ein ordentliches Leben führen wollen. Wenn ich denen ein Stück meines Irrsinns leihen kann, um zu helfen, selbstverständlich.

Zwischen all der Wut und Überforderung ist am Ende ohnehin nur noch für ein paar Kleinigkeiten Platz. Für das Adrenalin eines stattfindenden Fußballturniers. (Go Belgien go!) und für die rührigen Absurditäten, die man so findet.
Gott segne Mama Donnerhall, die meine Aufmerksamkeit auf eine dieser Absurditäten in Form einer Todesanzeige lenkte.


Alles, aber auch alles an diesem kleinen Ausschnitt ist faszinierend. Vor allem, was dort alles nicht steht. Keine lange Liste an Verwandten, die sich verabschieden (die Recherche ergab auch keine anderen Anzeigen irgendwo, bei denen sie gelistet wären.), keine emotionale Bindung zu einer geliebten Tante, Schwester oder ähnliches. Der Neffe, wohl alleiniger Auftraggeber überschreibt sich zwar mit Liebe und Dankbarkeit, aber das erst nach dem Hinweis, dass doch bitte von quasi aller sichtbarer Trauer abzusehen sei. Nicht mal ihre, so wird hier angedeutet, vielen Auszeichnungen sollen Erwähnung finden. Nicht einmal in den seriösen Kreisen, in denen sie doch hochgeschätzt war.

Es ist Sonntagnachmittag, als ich die Kuriosität auf Twitter poste, während ich Kaffee trinke und Prinzregententorte (!) esse. Und Twitter is coming through.

Was eine Parte ist? Das hier.

Wer Maria Fernanda war? Darüber wissen wir erstaunlich wenig.

Jahrgang 1927, kommt sie als Tochter der Infantin Elisabeth von Portugal und Franz Joseph, Prinz von Thurn und Taxis zur Welt. Dessen Mutter war Margarete Klementine von Österreich, aus dem ungarischen zweig von Habsburg-Lothringen. Maria Fernanda hat einen älteren Bruder, Gabriel, der in Stalingrad fällt und zwei ältere Schwestern. Elisabeth Helene und Maria Theresia. Helene heiratet den Grafen Rudolf Erwein von Schönborn-Wiesentheid – die Ehe wird geschieden und annulliert. Maria Theresia heiratet Franz Eduard, Graf von Oppersdorf. Ihr Sohn wird später die Traueranzeige für Maria Fernanda schalten.

1950 heiratet sie Prinz Franz Josef von Hohenzollern, bereits 1951 wird die Ehe geschieden und kurz darauf annulliert. (Franz Josef, Prinz von Hohenzollern war wohl keiner für die Ehe. Drei Monate nach der Scheidung heiratet er Diane Marguerite Bouorbon-Parma, lässt sich aber wieder scheiden und die Ehe annullieren.)
Maria Fernanda heiratet nie wieder. 1966 adoptiert sie in New York eine Tochter. Marian Editha Theresia von Thun und Taxis stirbt aber bereits 2012. In ihrer Traueranzeige steht nur ein Name, der von Maria Fernanda.

Und wenn Sie jetzt sagen: Bella, ist das nicht ein bisschen viel Interesse an einer verblichenen Adligen? Aber natürlich ist es das, da haben Sie vollkommen recht. Nur: Die geschiedene Maria Fernanda, eine echte Thurn und Taxis, adoptiert in den 60er Jahren, allein, eine 5 Monate altes Mädchen in den USA und von beiden hört man erst wieder, als sie nicht mehr da sind. Es werfe bitte den ersten Stein, dessen Phantasie da keine Flügel bekommt. (Wenn sie mal ein paar Stunden mit wirklichem Nonsens zubringen wollen, der aber irgendwie historisch ist: http://forum.alexanderpalace.org/ . Hier tauschen sich Menschen über mehr oder minder alle Königshäuser und Adelslinien aus, die man so finden kann. Wahnsinn.)

Aber ich schweife ab, weil am Ende hatte Twitter nochmal einen richtigen Kick für mich. Oben, in der Todesanzeige, wird (für mich selbstverständlich) ein Kontakt zum Erhalt von Gedenkbildchen, also Sterbebildern angeboten.
Als auf Twitter aber mehrere Nachfragen auftauchen, worum es sich bei diesen Gedenkbildchen handelt, scheine ich da einer mittelschweren Entdeckung auf der Spur.
Ein kleiner Thread. (idealerweise liest man auch einige der Antworten.)

Annähernd 33 Jahre musste ich werden, um zu lernen, dass das Standardritual des Sterbebildes mehr so eine Ur-katholisch-alpine Sache ist. Altbayern, das katholische Franken, Baden und der Schwarzwald, Südhessen und die Eifel, Österreich, Italien. Der Rest der Republik? Schüttelt mal wieder den Kopf, weil’s das nicht braucht.
Auch einen Tag später weiß ich noch nicht wohin mit meiner Fassung. Meine Twitter-Mentions eskalierten den Rest des Abends vor sich hin, wie ich das sonst nur von regionalen Unterschieden bei Gebäck kenne.
Als ich mit meiner Schwester beim Beerdigungs-Institut saß und wir durch Kataloge mit Motiven und Versen blätterten, bis es für uns passte. Wie man auch dafür das richtige Foto heraussuchen musste. Würden 250 Stück reichen? Schließlich gibt man der Verwandtschaft einen großen Stapel mit, der im Heimatdorf an die verteilt werden kann, die zu spät davon erfahren haben oder nicht zur Beisetzung kommen konnten.
JA WIE DENN SONST?

Diese Sorte selbstverständliche Kleinigkeit, aus deren Summe am Ende unsere Welt besteht, wenn sich eine solche als überhaupt gar nicht selbstverständlich rausstellt, dann fühlt es sich an als würde jemand einen Faden aus der Realität ziehen, einen, der das ganze Gewebe auftrennen könnte.
Vielleicht bin ich momentan noch empfindlicher als sonst für diese Dinge. Sehe noch schneller, wenn da Fehler in der Matrix sind.
Aber irgendwo zwischen der verlorenen Geschichte von Maria Fernanda, der Lücke die Sepp Daxenberger hinterlassen hat und einem Leben ohne eine Schublade voller Sterbebilder fange ich an mich zu fragen, welche Dinge ich in meinem Leben als gegeben, sogar notwendig ansehe, obwohl sie es gar nicht unbedingt sind.

Ich war so jung und so lange depressiv, dass ich Jahre gebraucht habe, um aus den Ruinen meine tatsächliche Persönlichkeit zusammen zu bauen. Ein Konstrukt, das nicht von Dunkelheit und Trauer zusammengehalten wurde. Jetzt ist beides wieder da und sie fügen sich viel zu einfach in all die Fugen und Risse, füllen Löcher auf und legen sich wie eine Schicht über all die Fragmente aus denen ich über viele Jahre eine Zukunft gebaut hatte.
Wenn ich alles noch einmal aufsammeln und zusammensetzen muss, worauf könnte ich nicht verzichten? Und was würde ich dieses Mal darin haben wollen, das bis jetzt fehlt?
Mir fehlt jetzt schon der Enthusiasmus für all die Umstände, die sich ändern werden müssen.

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