Zweistadtherz

Das Gefährliche an diesen dunklen Wassern ist die Gleichmut mit der man hineingleitet. Wie man akzeptiert, dass sich um einen herum nichts mehr bewegt und man selbst nur sehr begrenzt die Kraft aufbringt daran etwas zu ändern, wo doch das Versinken so verführerisch wirkt.
Ich weiß nicht, wie lang die restliche Kraft langt, aber noch wird gepaddelt.

So finde ich mich letzten Freitag im Zug nach Ulm wieder. Donaustadt, alte Hütte, alte Hood. Wo du nicht voller Baustellen bist, erkenn ich dich sogar wieder. Du bist noch genauso schwäbisch-brav und gleichermaßen vielsprachig laut wie damals. An manchen Ecken blitzen alte Geister auf.
Aber da ist schon die liebreizende C. und das Donaufest und es gilt kleine Abenteuer zu bestehen. Wir reden weiterhin durchgängig, essen Crepes und trinken Cidre. Das Zillentaxi hängt an einem Stein fest und unsere Fahrerin (Kapitänin? Frau am Paddel?) muss kräftig in das zu niedrig stehende Wasser stoßen, damit wir vom Ufer der Baden-Württemberg-Seite wegkommen. Es spritzt einmal ordentlich auf und meine Füße werden nass.
Die C. erklärt, dass diese kleinen Holzboote aber wirklich nicht umkippen können und ich versuche nicht einen meiner berühmten Stunts hinzulegen. (Dass das Wasser unfassbar niedrig steht und ich maximal nass geworden wäre, erfahre ich erst später. Die mächtige Donau bewegt sich zwischen den Brücken nur ein wenig.)

Wir sitzen mit Softeis am bayerischen Ufer, ich denke an die Sommerabende während der Vorlesungszeit. Ulm kann jetzt Bars, der Negroni hatte es in sich. Reden über soziale Experimente, Arbeitsbedingungen und was man wofür in Kauf nimmt. Großes Wiederfinden.
Ich schlafe viel zu lange, wir frühstücken bis es Zeit für Kaffee und Torte ist. Gemeinsames Konzertticketbuchen für Florence. Ich weiß nicht mehr, wann ich zuletzt gemeinsam mit jemandem Tickets für etwas gekauft habe. Vermutlich noch mit der A., die heute nicht mehr mit mir spricht. (wie ich lernte, was Ghosting ist.)
Ganz hervorragende Torte finden wir auf der anderen Seite der Donau (Punkt Bayern!).
Man könnte doch auch gleich Abendessen…? Kann man, in einem hippen Indochina-Laden mit der besten Erdnusssoße, die mir seit langem untergekommen ist und überhaupt, man will sich durch die ganze Karte probieren.

Ich denke die ganze Zeit wie doof ich bin, den Aufwand zu scheuen, der hinter einer so großartigen Zeit stecken kann. Was es dem Leben für Kräfte verleihen muss, wenn man schon früh von solchen Freundschaften, solchen Momenten getragen wird. Ich bekomme Gin Tonic mit Rosmarin und wir gucken dem sehr jungen David Tennant beim Niedlichsein zu.
Mir fallen die niedlichen Geister aus meiner Zeit an diesem Ort ein. Das Studentenwohnheim in dem ich gelebt hatte, liegt nur einen Steinwurf entfernt. Einen Moment lang frage ich mich, was der kümmernde Mechatronik-Mitbewohner und die nebenher-Barkeeperin aus der Zeit damals machen. Hoffentlich sind sie glücklich.
Sonntagvormittag, im Zug zurück nach München fühle ich mich erholt und nicht einmal die deutsche Bahn könnte mir die Laune verderben – sie versucht es erst gar nicht.

Später räume ich die Reisetasche aus, packe dafür den Rosé in die Handtasche und begebe mich zum Fußballgucken. 20 Jahre Brass auf Kroatien verfliegen recht schnell, als Antoine Griezmann sehr kunstvoll schauspielert. Aber gut, dann eben Frankreich, so gewinne ich wenigstens die Bonusrunde im Tippspiel.
Später singt Jonas Kaufmann italienische Arien. Neben ihm steht Anita Rachvelishvili und sieht fantastisch aus, mit ihren Locken und den großen Ohrringen und der Dramatik, der den neuen Operndiven manchmal fehlt.
Das, denke ich heimlich in mich hinein, könnte ich auch. Nicht subtil und zeitlos elegant, sondern mit einer gewissen Wucht.

Es ist fast Mitternacht, als ich mit einem letzten Glas im Dunkeln auf dem Balkon sitze. Ich beschließe, dass manche Dinge das Universum regeln muss und schicke noch zwei Nachrichten los. Schließlich könnte es den Aufwand wert sein.

Abschließend schmuggeln wir hier nochmal ein paar Fragen rein, weil das so putziges Füllmaterial ist.

26. Warst du ein glückliches Kind?
Nein, zu früh mit dem Nachdenken angefangen. Zu früh nachdenken müssen. Ich befürchte, dass sich ein mit Gedanken gefüllter Kopf und Glück nicht gut vertragen.

27. Kaufst du oft Blumen?
Das lerne ich noch.

28. Welchen Traum hast du?
Ne Nummer Kleiner hatten wir nix? Okay. Dilemma: Ich habe wieder aufgehört Dinge konkret als Wunsch oder Ziel zu formulieren, weil ich daran erinnert wurde, wie das ausgeht. Schlecht. (Nie, nie nie nie nie niemals nicht Dinge verkünden bevor sie nicht in trockenen Tüchern sind.) Irgendwann mal eine Immobilie besitzen wäre schick. Würde beruhigen. Und, nur um das nagende Gefühl irgendwann zu wegzuhaben: Ein Buch schreiben. Muss nicht mal veröffentlich werden, vielleicht posthum, aber mir beweisen, dass ich ein ganzes hinkriege, ja.

29. In wie vielen Wohnungen hast du schon gewohnt?
1985-1986: (also wurde mir erzählt)
1986-1996
1996-2003
2003-2004 (die erste WG!)
2004-2005 (erste eigene!)
2005-2006 (Horror-Winter im Schwarzwälder Studenten-Gefängnis)
2006-2008 (12-Zimmer-Studentenwohnheims-WG)
2008-2009
2009-2011 (dasselbe Studentenwohnheim, aber umgebaut und mit nur noch 6-Zimmer-WG)
20011-2015
2015- jetzt. (You will take this Balkon with Innblick from my cold, dead hands.)

Uff.

30. Welches Laster hast du?
Wein. Zorn. Schokolade. Arroganz. Gin. Nachtragend sein.

31. Welches Buch hast du zuletzt gelesen?
Aus Gründen in diesen Tagen nochmal die Franz Josef Strauß Biographie. (I KNOW.)

32. Warum hast du die Frisur, die du jetzt trägst?
Äh. Das Ding mit diesen Haaren (https://twitter.com/search?q=Montagslocken&src=typd ) ist ja: So viele Möglichkeiten hab ich nicht. Der Traum vom Kurzhaarschnitt oder dem „Rachel“ wird eher einer bleiben und entfärben, um zu färben will ich auch nicht. Also arbeitet man mit dem Material, das man hat. Meistens so altmodisch mit ein paar Strähnen, die am Oberkopf in eine Klammer kommen oder irgendwie hochgesteckt. An Bad Hair Days als Zopf.

33. Bist du von deinem Mobiltelefon abhängig?
Ich dachte bei „abhängig“ als erstes daran, dass ich mich ohne Mobiltelefon ständig verlaufen würde und es allein schon zur Navigation oder für Bahntickets dringend brauche. Ansonsten, och, ja, es ist schon sehr wichtig. Aber noch schaffe ich es auch mal einen Tag ohne. Aber dann muss ich wirklich dringend reingucken.

34. Wie viel Geld hast du auf deinem Bankkonto?
Och ja, geht so.

35. In welchen Laden gehst du gern?
Ich mag Bücherläden, Parfümerien und Antiquitätenhändler. Ich bin also in Wirklichkeit eine 53jährige Charity-Witwe aus Bogenhausen.

36. Welches Getränk bestellst du in einer Kneipe?
Kneipe klingt klein und urig und überhaupt: Bier. Wenn es heiß ist, Radler. Wenn die Kneipe eine Bar ist: Gimlet oder Negroni.

37. Weißt du normalerweise, wann es Zeit ist, zu gehen?
Manchmal denke ich, ja, natürlich. Aber vielleicht bin ich zu vorsichtig, mache zu schnell einen Rückzieher.

38. Wenn du dich selbstständig machen würdest, mit welcher Tätigkeit?
Ich war mit meinem normalen Beruf selbständig und och ja, das hat schon auch was. Aber dasselbe tun wie jetzt, nur mit dem Freelancer-Aufwand ist dann langfristig doch nicht meins. Wenn, dann würde ich etwas gründen. (You don’t say. ) Oder halt Alkohol verkaufen.

39. Willst du immer gewinnen?
Ich versteh die Frage nicht. Toby Ziegler sagt: They like us when we win.

40. Gehst du in die Kirche?
[Hier mehrseitige Abhandlung über das Großwerden in bayerisch katholischer Folklore einfügen] Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen.

41. Trennst du deinen Müll?
Was soll ich denn sonst damit machen?

42. Warst du gut in der Schule?
Mit Ausnahme einer Phase in der Mitte, als man versucht hat mir den Spaß zu nehmen – ja. Aber nicht, weil ich fleißig gewesen wäre. Unfair, aber wahr. Ich mag das Konzept Lernen.

43. Wie lange stehst du normalerweise unter der Dusche?
Ich bin im Besitz einer Badewanne und dusche nur, wenn es wirklich, wirklich schnell gehen muss. Dann knapp unter 10 Minuten. (Hört auf mit den Augen zu rollen, für mich ist das schnell.)

44. Glaubst du, dass es außerirdisches Leben gibt?
Rein statistisch existiert in irgendeiner Galaxie auf irgendeinem Planeten zumindest irgendeine Art von organischer Lebensform. Hochentwickelte Aliens? Unwahrscheinlich.

45. Um wieviel Uhr stehst du in der Regel auf?
Zwanzig vor 7 an Arbeitstagen, ansonsten wird’s 9+x.

46. Feierst du immer deinen Geburtstag?
Ha. Haha. Hahahahaha. Ich organisiere grade meine erste Geburtstagsfeier seit 20 Jahren.

47. Wie oft am Tag bist du auf Facebook?
2, 3 mal die Woche?

48. Welchen Raum in deiner Wohnung machst du am liebsten?
Zählt ein gemauerter Balkon als Raum…?

49. Wann hast du zuletzt einen Hund (oder ein anderes Tier) gestreichelt?
Eine Katze, was auch sonst. Vor ein paar Tagen lungerte beim abendlichen nach Hause gehen eine langhaarige dunkle Diva auf einer Brüstung rum und maunzte mich erstmal an, damit ich auch garantiert herkomme und ihr kurz die Öhrchen kraule. Dann war’s auch wieder gut und sie sprang hochelegant auf die andere Seite der Brüstung. Katzen sind die einzigen Tiere, die ich verstehe.

50. Was kannst du richtig gut?
Herrje. Das klingt jetzt komisch aber: Reden. Menschen in Grund und Boden, Projekte zur Existenz. Mehr als Worte hab ich nicht. Aber in diesen Tagen denke ich oft, dass ich selbst dieses Werkzeug nicht gut genug beherrsche, um mich zu verständigen.

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