(the help’s helped)

*Ja, hier hat’s immer noch West Wing Referenzen. Es ist nicht ALLES anders.

Ich schreibe ins Internet seit ich, puh, 14 bin. Seitdem begleiten mich auch Depressionen. Und vielleicht auch darum war es immer normal, dass ein Großteil der Menschen denen ich online begegnet bin, zumindest eine Ahnung davon hatte wie es ist, wenn man psychisch grad mal nicht voll auf der Höhe ist. Angststörungen, manische Phasen, Burn Out – die überwiegende Mehrheit meiner Bubble wusste damit etwas anzufangen. Es half, nicht nur weil man endlich Leidensgenossen hatte, sondern vor allem auch, weil man Sprachregelungen finden konnte, die klar gemacht haben was los war, ohne, dass man mit roten Pfeilen und in Neonschrift I’M NOT OKAY sagen musste. (Wobei es einen My Chemical Romance Song mit dem Titel gibt, also wurde das natürlich oft zitiert.)

Die Blase ist in den letzten Jahren größer geworden, hat massiv expandiert. Trotzdem hatte ich bis vor kurzem noch den Eindruck, dass wir in Sachen „mental health“ alle dieselbe Sprache sprechen. Erst langsam und angesichts von leicht hilflos agierenden Menschen wird mir klar, es gibt sie, die Gesunden. Das ist… ungewohnt.

Selbst dieses Blogdingsi wird ja mit wenigen Ausschlägen nach oben eher von einem kleinen Kreis gelesen – womit ich immer sehr gut leben konnte. Reichweite bedeutet mir tatsächlich gar nix. Es war immer ganz beruhigend, dass ich hier durchaus auch sehr persönlich schreiben kann, ohne, dass es „draußen“ Wellen schlägt. Weil Schreiben und dazu gehört auch das öffentliche Schreiben, ist Teil meiner Therapie. Das wird sich nicht mehr ändern.

Es gibt immer wieder Ansätze für gesunde Menschen wie sie mit uns Angeschlagenen umgehen sollten. „How to care for the depressed person in your life“. Aber keiner erklärt einem als kranke Person wie man mit denen umgeht, die keine Ahnung von der Dunkelheit und den Schatten, den Selbstzweifeln und der unendlichen Leere haben.
Erscheint einem ja auch kaum vorstellbar, dass so jemand wirklich existiert.
Wie kann einen diese Welt nicht in den Wahnsinn treiben?
Und wie erklärt man was mit einem los ist, ohne all die blumigen Metaphern und immer gleichen Vokabeln? (Sieh Dunkelheit, Schatten, Leere, etc.)

Diese Lücke zwischen Wahrnehmung und tatsächlichem Empfinden ist gigantisch und mit Erklärungen kaum zu überwinden. Selbst meine Familie, empathisch und wissend um die Ereignisse die vieles ausgelöst haben, konnte nie so ganz begreifen was denn nun mit mir nicht stimmt. Eines Tages, kurz nach einem Umzug, stand meine Mutter am Fenster und sah wie sich schräg gegenüber im Gemeindezentrum/Ersatzkirche Menschen versammelten. Eine Beerdigung. Das junge Mädchen hatte sich das Leben genommen. Es war einer der wenigen Momente, als bei meiner Mutter ankam, wie verdammt nah sie selbst an einem solchen Szenario war.

Ich stand da und wusste gar nicht was ich sagen sollte.

So stark, so allumfassend war mein Wunsch danach gewesen nicht mehr zu existieren, dass es sehr drastische Momente brauchte, um mich ein wenig aus meinem eigenen Labyrinth zu holen. Damals war es, kurz vor der mittleren Reife, die Beerdigung eines Mitschülers, der bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. (Aufwachsen an einer bayerischen Bundesstraße – wenn ein Jahrgang bis zur Volljährigkeit niemanden verliert, ist es fast seltsam.)
Ich weiß noch, dass ich in die Kirche ging und obwohl alles sehr traurig war, hatte ich es bis dahin ganz gut geschafft. Aber der Sarg war offen. Ein großer, schwerer Schalter in meinem Kopf legte sich um.
Ich ging zurück nach draußen und erklärte meiner Klassenlehrerin, dass ich nicht im Stande war eine der Fürbitten zu lesen. Ich konnte nicht da vorne stehen, neben mir der Sarg. Er wurde zwar geschlossen, bevor die Messe begann, aber das Bild von einem damals 16jährigen darin lag, das hatte etwas in mir wachgerüttelt. So ganz erklären kann ich es bis heute nicht.
Seine weinenden Eltern. Der große Bruder, der ihm so fürchterlich ähnlich sah.

Nach der Beerdigung, wir legten alle eine Rose mit ins Grab, traf sich die Klasse noch irgendwo, wir tranken wahrscheinlich Johannisbeerschorle und wussten nicht recht, wie wir bis zu den Prüfungen wieder auf Normalität umstellen sollten.
Als ich nach Hause kam, immer noch ziemlich wirr, machte Mama mir Suppe und ich schlief den Rest des Tages auf der Couch.
Ich kann tagsüber eigentlich nicht schlafen. Nur, wenn ich krank bin.

Die Konfrontation mit dem Tod als Impfung gegen die suizidalen Gedanken – also eigentlich das Gegenteil von dem, wovor sonst gewarnt wird. Insbesondere der Freitod gilt als geradezu ansteckend, zumindest unter denen, die sich ohnehin mit dem Gedanken tragen.
Nach den letzten beiden, sehr öffentlichen Todesfällen (Designerin Kate Spade und Anthony Bourdain), habe ich gemerkt, dass meine gefühlte Immunität gegen solche Gedanken, gegen dieses Symptom, immer auch ein Stück Arbeit erfordern wird. Ich muss mich bewusst dagegen wehren.

Dazu gehört ebenso der Blick auf die Gesunden, auch wenn diese „Empathie“ viel, unvorstellbar viel Kraft kostet.
Wo man doch niemandem zur Last fallen, sich nicht aufdrängen will. Man stellt sich die anderen Leben vor, die leichter wären, wenn man nicht mehr da wäre. So viel unbeschwerter und besser. Die Chemikalien im Kopf unterschlagen in diesem Moment nicht nur die Trauer und den Aufwand, den das eigene Ableben verursachen würde, sondern vor allem die Belastung, die man damit den anderen auferlegt. Sie werden sich für immer fragen, ob man etwas hätte tun können. Ob es Zeichen gab.

Es ist der vielleicht hinterfotzigste Trick, den diese Krankheit im Repertoire hat.
Die falsche Rücksicht aufs Umfeld wird zum Argument für all die Dinge, die man tut. Zurückziehen, Verabredungen absagen, Kontakte abbrechen und schließlich über den eigenen Tod nachdenken. Dabei wird weniger das Sterben oder der Tod ins Zentrum gestellt, sondern die Nicht-Existenz. Als gäbe es nur ein kurzes Knacken, ein Blinzeln und man wäre weg, wie nie dagewesen. Nicht mal schwer depressive Menschen wollen sterben, also als Verb. Wenn man uns einfrieren und in 200 Jahren wieder auftauen könnte, vielleicht wären wir die ersten, die sich darauf stürzen. Also wir und die gelangweilten Milliardäre. Oder ein Austauschprogramm, bei dem jemand, der es zu schätzen weiß unser Leben bekäme und wir könnten, ich weiß auch nicht, einfach irgendwo sitzen und lesen. Ohne alles andere. Der alte Satz, dass Suizidgedanken einen nicht auf den Tod sondern auf ein anderes Leben hinweisen wollen, da ist im Kern eine Kleinigkeit dran. Aber Veränderungen sind schwer, anstrengend und überhaupt, das macht meistens auch noch Aufwand für Mitmenschen. Was man ja tunlichst vermeiden… Es ist kompliziert.

Ich will nicht sagen, dass ich ein Rezept dagegen gefunden habe – oh Gott nein, es ist ein heftiger Kampf. Nichts von dem was ich tue, geschieht meinetwegen. Ich bin mir selbst dafür momentan nicht wichtig genug. Es sind die anderen. Die, die da sind. Unnachgiebig und konstant. Das ist neu, dieses mal. Einige von ihnen sprechen die Vokabeln, die man im Dunkeln lernt, manche nicht – aber sie wollen trotzdem klar machen, dass sie sich zwischen mich und die Dunkelheit stellen wollen.

Here’s the thing: Es hilft. Ich mag es sonst nicht so formulieren und mich sogar dagegen wehren, aber millimeterweise verschiebt es etwas im Kopf. Da sein funktioniert, Zuhören funktioniert. Und sei es nur, weil die Mühe und der Aufwand dieser Menschen nicht umsonst gewesen sein soll. So viel leichter vielleicht alles ohne mich wäre, es wäre auch maximal ungehobelt denen gegenüber, die immer noch die Hand ausstrecken.
Nichts an dieser Krankheit ist logisch. Sie arbeitet aktiv gegen den „gesunden“ Menschenverstand, gegen unseren Instinkt Leben zu wollen. Wenn schon nichts mehr Sinn macht, kann man auch unsinnigerweise auf die hören, die sagen, dass es Gründe gibt dazubleiben.
So we soldier on. Nicht weil wir es gern tun, sondern weil es zumindest jetzt grade für die anderen weniger Aufwand ist, als sich zu fragen warum wir nicht mehr da sind. Festhalten, egal woran.

Und sei es, um darüber zu schreiben, zu versuchen denen die diese Sprache nicht sprechen ein paar Grundbegriffe beizubringen.

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