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BER – STR

"Oh toll, du hast Berliner mitgebracht!" Ich stelle die Schachtel mit dem halben Dutzend an Gebäckstücken hin. Nein, habe ich nicht. Die Krapfen glänzen noch ein bisschen und zwischen den ersten Bissen debattiert die Frauenrunde jetzt natürlich die korrekte Bezeichnung. Es ist ein übliches, erwartetes Ritual. Wer zuerst Pfannkuchen sagt, ist raus. Innerlich bin ich kurz dankbar für die Faschingszeit, in der meine Mitstreiterinnen auch einfach mal über die gefüllten Kugeln freuen, anstatt ihren Kaloriengegenwert zu erläutern. Wir beißen synchron in die Hefeteigstücke und eine Wolke von Puderzucker verteilt sich über den Tisch. Der Krapfen könnte saftiger sein. So wie früher. Sie waren doch früher besser, oder? Gebäck ist meine persönliche Nostalgiefalle. Ich denke an Wolfang Thierse und die Schrippen. An Fleischpflanzerl und Semmeln, Knödel und Leberkäse und was es über uns aussagt, wie ernst wir diese regionalen Bezeichnungen nehmen. Als ich 12 oder 13 war, musste ich zum ersten Mal auf einer Karte "Fleischkäse" lesen. Ich hatte keine Ahnung was gemeint war. Eine Bildungslücke? Vielleicht, wenn ich heute noch nicht wüsste was sich dahinter verbirgt, würde es mich bei der Bezeichnung "Hawaipizza-Fleischkäse" weniger schütteln. Genauso war mein erstes Jahr in Ulm von konstanter Konfusion geprägt. Warum werden hier Seelen gegessen und bin ich ein schlechter Mensch weil ich Maultaschen für überbewertet halte? (Ernsthaft, wagen Sie es mal in schwäbischen Gefilden Zweifel daran zu äußern, dass man Maultaschen IMMER und ZU ALLEM essen kann.) Würde ich heute zum Beispiel in den Norden Republik ziehen, täte ich an Servus und Grüß Gott und natürlich den Semmeln festhalten? Halte ich damit meine Wurzeln in Ehren oder verweigere ich die Migration? Wir sind schon ein putziges und leidlich neurotisches Volk. Weil Migrationspolitik diffizil und kontrovers ist, verlegen wir die symbolische Diskussion nach Innen. Wobei, wer ist schon wir. Der fast vergessene Thierse ist nur der neuste alte Mann, der mit absichtlich-grenzwertiger Rhetorik nach ein bisschen Aufmerksamkeit lächzt. Dabei ist der Schwabe in Berlin auf der Skala der Andersartigkeit für viele nicht so weit weg vom Türken in der Oberpfalz. Fremde Religion, andere Nahrungsmittel und Gebräuche, die man nicht sofort nachvollziehen kann. Hashtag #Kehrwoche. Es ist ein Seiltanz. Wer zu ernst auf den Lokalkolorit besteht, wird schnell als provinziell abgestempelt. Und provinziell will man nicht sein. Schon gar nicht in Berlin. Einerseits sind wir alle längt globalisiert und wollen über diesen Dingen stehen, andererseits machen wir die Witze über spießige Schwaben und verpeilte Hauptstädter als wäre es ein Religionsersatz. Ich mag regionale Eigenheiten. Nicht nur die meiner bajuwarischen Heimat. Als Angehörige eines Volksstammes, der oft wegen zu vieler Bräuche und erfolgreicher Eigenheiten verspottet wird, bin ich da sehr tolerant. Wenn es nach mir geht: Mehr Feiertage für alle! Ich verstehe viele solcher Traditionen nicht aber finde es dennoch gut, wenn man versucht sie zu erhalten. Sogar, dass sich die Diskussion am Essen entzündet, ist eigentlich eine ganz clevere Variante - jeder isst gern. Vielleicht, wenn wir über Schrippen und Semmeln und Wecken reden, reden wir demnächst über Bäcker und uniforme Teiglinge, die aus Fabriken kommen und in der Bestellform des Großlieferanten Brötchen heißen. Parmaschinken heißt so, weil er aus Parma kommt. Die selbe Regel gilt für Champagner und die Nürnberger Bratwurst. Das werden regionale Eigenheiten, Bezeichnungen und Herstellungsarten zum Markenschutz. Zum Qualitätsmerkmal. Eigennamen und Dialekte hatten immer schon zwei Funktionen: 1. die Identifizierung und Stärkung der Verbindungen im Inneren. 2. Die Abgrenzung nach Außen. Wenn ein schwäbischer Bäcker nach Berlin zieht und dort Semmeln nach seinem Rezept macht - sind es dann Schrippen? Und wenn der bayerische Franchisenehmer einer Backshop-Kette von München nach Hamburg wechselt - macht das noch irgendeinen Unterschied? Ich esse gern Falafel mit Hummus. Frittierte Bohnenpüreeklöße mit Kichererbsenpaste. Nur, dass niemand diese Aufschrift auf einer Tafel fordern würde. Wäre auch verdammt lang. Wenn der Berliner Flughafen eines Tages fertiggestellt sein wird, werde ich dort einen ordentlichen Döner bekommen. Genauso wie Burger und Fritten, Sushi, Currywurst, womöglich Fish and Chips und vermutlich auch Krapfen, äh, Pfannkuchen und eine Butterbrezn. Wobei die höchstwahrscheinlich in einer miserablen Backshopkette dann 1,40€ kostet. Die Chance, dass der geneigte wie verhasste Tourist eine echte Bulette in einer echten “berliner” Schrippe bekommt, sind eher schwer zu schätzen. Auch die Snack-Tauglichkeit von Maultaschen ist mir spontan nicht geläufig. Eine leere Bezeichnung allein setzt sich nicht einfach so durch. Da kann sich Herr Thierse auf den Kopf stellen. Aber vielleicht ist er ja der Gründer einer Petition, die sich für die Bevorzugung von regionalen Läden und Marken im Willy Brandt - Flughafen einsetzt. Dann will ich nichts gesagt haben. Mit tropft Marillenmarmelade auf den Ärmel. Das ist beim Krapfenessen immer so. Der Puderzucker ist mittlerweile überall verteilt. Hätte auf der Schachtel Berliner oder gar Pfannkuchen gestanden, ich hätte genauso hinein gebissen und stattdessen wäre mir dann eben Pflaumenmuss auf den Ärmel getropft. Ich kann auch sehr gut damit leben, dass der präparierte Faschingskrapfen mit Senf aus der Mode kommt und es stattdessen öfter welche mit Vanillepudding gibt. Nicht jede Tradition muss unbedingt überleben. "Im Rheinland," sagt die L. zwischen zwei Bissen, "ist gar keine Marmelade drin. Nur Rosinen." Rosinen? Das geht jetzt zu weit.
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…but I wouldn’t call myself a feminist

Oh FUCK YOU. Das ist genau das Problem. Ihr seid zwar für Gleichberechtigung, wollt aber nicht mit dem identifiziert werden, was euren veralteten Vorstellungen nach für Feminismus steht? Gratulation. Ihr seid das Problem des Feminismus 2013. Ich habe es so satt, dass erwachsene, geschätzte und kluge Menschen so tun als gäbe es da einen Unterschied. Sie begeben sich damit auf das absurde Niveau von Leuen wie der weizenblonden Country-Göre Taylor Swift. Ach, ihr glaubt es ist eine Ideologie? Ihr empfindet die Bewegung als zu Radikal? Hört auf zu heulen. Na dann wollen wir gleich mal 12 Punkte von der IQ-Schätzung abziehen. Das ist es nämlich nicht. Feminismus ist eine Haltung - nicht mehr und nicht weniger. Ich hadere momentan extrem mit der Politik. Mit den Politikern, den Parteien, dem System. Höre ich darum auf eine überzeugte Demokratin zu sein? Natürlich nicht. Das Prinzip hinter Feminismus ist das Gleiche. Es gibt verschiedene Strömungen und Bewegungen. Und ich gebe sofort zu, dass gerade die lauten Stimmen dazu, momentan arg anstrengend und oftmals abschreckend wirken. Aber darum seid ihr trotzdem Feministen und Feministinnen.
Feminismus ist sowohl ein intellektuelles Bekenntnis als auch eine politische Bewegung und tritt für Gleichberechtigung, Menschenwürde und Selbstbestimmung von Frauen ein sowie das Ende aller Formen von Sexismus. Der Begriff bezeichnet heterogene Denkansätze und Theorien, deren gemeinsamer Ausgangspunkt das Aufbegehren gegen die Identifizierung von Frauen als einer Männern nachgeordneten Gruppe ist. Ziel ist die Veränderung der Lebenssituation von Frauen als auch der Strukturen, die eine Nachrangigkeit von Frauen hervorbringen. Feminismus grenzt sich von Gleichstellungspolitik durch die Vorstellung ab, dass die geschlechtergerechte Teilhabe an der gesellschaftlichen Gestaltung nicht ohne eine Veränderung der Machtverhältnisse zu realisieren sei. (Wikipedia)
Es ist, um es kurz auf den Punkt zu bringen: Humanismus. Wer es von sich weißt Feminist/in zu sein, sollte sich sehr gut überlegen bevor er oder sie "Diskriminierung!" brüllt. Ich weiß, das hat viel mit den Generationen vor uns zu tun. Mit euren Albträumen von lila Latzhosen und Männerhass. Und diesem alten Feindbild überlasst ihr jetzt das Feld. Den Begriff, die Diskussion, die Haltung. Ganz schön schwach. Die Grünen kann man wählen - die haben sich ja weiter entwickelt. Google - vielleicht doch ein bisschen evil. Dinge bewegen sich, Bewegungen verändern sich. Bloß hier machen es sich so viele sehr einfach. Reden in spöttischem Ton über Genderdings, weil es in ihren Augen das alles nicht mehr braucht. Borniertheit war selten so offensichtlich. Ich fange an den Respekt vor Menschen zu verlieren, die glauben es wäre cool oder entspannt zu behaupten man wäre eben kein Feminist oder Feministin. Weil, die sind ja alle schrill und radikal und unsexy und überhaupt. Jessasmaria. Merkt ihr was? Merkt ihr, wie ihr mit diesem Bild nicht nur einen Stereotyp am Leben erhaltet, sondern dabei noch ganz lässig gleich eine Gruppe von Menschen herabsetzt? Währenddessen klatschen die hysterischen Maskulinisten in die Hände und schreiben Essays darüber, wie wir alle verloren sind, weil Männer nicht mehr das Ruder führen. Und die Jungs so sehr die Orientierung verlieren, dass sie entweder Amok-laufen oder vergewaltigen. Diese halbseidene Haltung zur Gleichberechtigung ist der Nährboden gesellschaftlich akzeptierten Sexismus (Altherrenhumor, Grenzüberschreitung, etc.) und, ironischerweise, der Katalysator radikaler Feminismus-Strömungen. Der Satz "...aber ich bin kein/e Feminist/in" wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Mit Verlaub: IHR VOLLDEPPEN. Ihr seid doch alle nicht so doof, oder? Was ist denn so schwer daran den Begriff von der Bewegung zu unterscheiden? Niemand zwingt euch auf Demos zu gehen oder tief in die Materie einzusteigen - es langt völlig sich nicht sexistisch zu verhalten und sexistische Muster nicht zu unterstützen. Und das tut ihr doch angeblich eh alle, so cool und aufgeklärt und dabei total postfeministisch wie ihr seid. Es tut mir leid euch diese schreckliche Wahrheit zu sagen, aber: Höchstwahrscheinlich seid ihr Feministen. Alle. Die andere Seite dieser Medaille ist nämlich die hinderliche. Oder ist euch das Label Sexist lieber? Eben. Also bitte. Entstaubt bitte eure Definitionen, hört mir auf mit Alice Schwarzer und gebt mir nicht mehr so viele Gelegenheiten wütend zu werden. Mein Feminismus muss nicht eurer sein. Nicht der von Frau Schwarzer oder sonstwem. Baut euch eine eigene Definition. Egal. Wenigstens denkt ihr mal darüber nach. P.S.
Unfortunately the question appears now to not only be “are you a feminist” but more “are you a feminist like me?” But, I ask, do the minor details really matter that much? When asking on Twitter “what does feminism mean to you?” every single reply I received was unique. Maybe we don’t need one complete definition; if we have the fundamental understanding then we’re all on one team, right?. Moreover, some replies mentioned bad experiences what other people thought of them. Culture editor Victoria Finan said: “feminism is the right to define one’s gender oneself and to expect equality, if you ask me anyway. I once got told I wasn’t a feminist, as I don’t believe in raising gender-neutral children. It really upset me.” (Is it OK that our definitions of feminism aren’t 100% the same?)
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neverwhere footprints

Es ist schon ein paar Tage her. Ich wachte auf und für einen kurzen, wirren Moment war ich überzeugt davon, dass das Gespräch tatsächlich stattgefunden hatte. Dass wir im Cafe saßen, vielleicht nach einem Film. Mein Unterbewußtsein ist ein Schweinehund. windowdressing Der A. saß da. So kauzig wie eh und je. Er rührte in seinem Tee und krächzte ein bisschen. "Weißt du, Bella, seit du wieder wunderlich wirst, bist du glücklicher als sonst. Du hast dich zurück verpuppt und bist jetzt eine Raupe, ganz zufrieden mit allem." Und ich weiß gar nicht was ich erwidern soll und höre einfach zu, was auch sonst. "Das Alleinsein und das Schreiben und der Rückzug von der Welt - früher hätte keiner versucht das weg zu therapieren. Aber es wußte ja niemand, dass die Welt dich so schwermütig macht. Du doch auch nicht. Alle dachten, dass dich das Alleinsein erst so traurig macht. Andere sind traurig, wenn sie allein sind. Du ... nicht." Er sagt noch mehr, aber ich erinnere mich kaum daran. Ich habe den Geruch der schweren weißen, heißen Schokolade in der Nase. Ich kann die Sahne fast auf der Zungenspitze schmecken. Es geht vermutlich wieder darum, ob das heute überhaupt noch möglich ist - sich selbst genug sein. Nicht immer, natürlich. Er hat bestimmt mit Nachdruck darauf gepocht, dass man selbst nur besser wird, wenn man sich auch den anderen stellt. Weil wir nur so Spuren hinterlassen. Womöglich wurde es an einem Punkt eine Diskussion darüber, wie viele Verbindungen wir brauchen. Ich hätte Witze über lange Leinen gemacht. Vermutlich. Aber vielleicht war da auch gar nicht mehr. Wie das so ist. Zu klar ist mir doch die ganze Zeit, dass ich jemand anderen meine Worte aussprechen lassen. Nächtliches Puppentheater. Nur am Ende, kurz bevor ich aufgewacht bin, hab ich geantwortet. "Das ist alles nur, weil mein Kopf so bevölkert ist. Deswegen ist es immer laut."