be a river

Time tells no lies
It keeps changing, and ticking, and moving, then passes by
But if you’re lucky it will be kind
Like a river flowing through time

(Mighty River, Mary J. Blige)

Vielleicht ist es Ostern, diese ganze Auferstehungs-Sache. Es war Ostern 2018 als die Welle mich davongetragen hat, mir die Veränderungen aus den Monaten davor bewusst wurden. Als ich endlich geweint habe, lange nachdem ich Menschen, Dinge und Umstände verloren hatte. Als sich meine Welt in ihre Einzelteile aufgelöst hat.

Ein Jahr später hatte ich zwar nur ein paar lausige Grundmauern wieder aufgebaut, aber offensichtlich brauche ich manchmal nicht mehr. Dass der Job trotz tollem Team und fantastischem Chef eine Einbahnstraße war, hatte sich lang abgezeichnet – schon eine Weile war es mehr Durchhalten aus Trotz und ein klein wenig Hoffnung.

Seit Beginn des Jahres hatte ich das ein oder andere Gespräch mit Recruitern und HR-Managern geführt, war teilweise überrascht was mir zugetraut wurde. Kleine Ego-Drops für zwischendurch und eine Erinnerung daran, dass meine Ambitionen kein kompletter Blödsinn sind. Das Ziel war schließlich ein sauberer Übergang. Erst gehen, wenn der nächste Schritt schon klar war. Womöglich habe ich aber genau darum mit vielem so gehadert. Mich in keinen Prozess gestürzt, Dinge eher auf mich zukommen lassen. Obwohl der Leidensdruck längst da war, es fehlte… etwas.

Irgendwann im Februar oder März knallte es dann ein paar Mal und mir wurde sehr klar, dass mein Frustrations-Level einen Punkt erreicht hatte, an dem ich zwar Gift und Galle in alle Richtungen spucken aber mich kaum für etwas begeistern konnte – auch außerhalb der Firma.

Da lagen hinreißende Einladungen auf dem Tisch, ich hatte zum ersten Mal seit Jahren genug Zeit, um sogar wieder regelmäßig Sport zu machen und trotzdem konzentrierte ich mich auf die Schattenregionen meiner inneren Topographie.

Fuck it.

Das Konto sagte „so ein paar Wochen geht sich das schon aus“, der Bauch sagte „selbstbestimmte Änderungen, sind die einzig wahren Veränderungen“ und so sagte ich, kurz nach Ostern „ich kündige“.

Vorher darüber gesprochen hatte ich mit niemandem, es gehörte alleine mir. Mein Klos im Hals, als ich meinem bis dato besten Vorgesetzten sagte, dass es nicht mehr geht. Mein erhobenes Glas auf mich selbst, als ich an dem Abend nach Hause kam. Als ich 6 Wochen später das Team informierte, war meine Zukunft immer noch eher unklar und ich wunderte mich selbst darüber, wie wenig es mir ausmachte. Ich begann ernsthafte Bewerbungen zu schreiben und klar zu formulieren was ich wollte, aber Panik wollte sich einfach nicht einstellen.

Stattdessen: Vorfreude. Dank Resturlaub und ohne den Druck sofort wieder eine Festanstellung haben zu müssen, hatte ich plötzlich den großen Luxus eines freien Sommers vor mir. Ich weiß nicht, wann ich das zum letzten Mal so auskosten konnte.

Und so plante ich still und heimlich meinen Sommer, notierte mir bevorzugte Firmen und vertraute darauf, dass noch keiner meiner Jobs mit mehr als 6 Wochen Vorankündigung zu mir gekommen war. Ich sollte recht behalten. Während es in der Firma generell zu rumoren begann, plante ich Trips und Verabredungen, erste Gespräche und eine Leseliste.

Für das Team packte ich einen „Case for Emergencies“, mit Schokolade, Schnaps und ein paar Helferlein, um harte Zeiten zu überstehen. Ich bekam Gin und Whisky. (It’s not the people, it’s the job.)

Erst als die Drehtür das letzet Mal hinter mir weiterzieht, erfährt es der Rest der Online-Welt. Die Familie bekommt es dann nochmal später und Häppchenweise erklärt. (Forever Mittelstandskind.)

Am selben Abend kontaktiert mich eine Twitter-Bekanntschaft und ich sende kurz darauf meine Unterlagen an eine Recruiterin. Vier Tage später telefoniere ich mit ihr, eine Woche später habe ich ein fulminantes Bewerbungsgespräch, noch eine Woche später den zweiten Termin und exakt 4 Wochen nach meinem letzten Tag in Unterföhring, kommt die Zusage für einen Job den ich mir vor nicht all zu langer Zeit nicht zugetraut hätte.

Cause that’s how that goes.

Twitter-Pause. Weinfest, Nachtflohmarkt, Open Air Kino, Balkon-Rumlungern, To-Do-Listen schreiben, Eisdielen-Dates, Badesee-Testreihe, Lesen lesen lesen, Biergarten-Abende, Durchatmen.

Deswegen war es hier so still.

Vor etwas mehr als einem Jahr dachte ich, ich würde allein und in der Dunkelheit feststecken. Die Schnitte, die seitdem passiert sind, waren nicht alle freiwillig und mit manch neuer Bedingung hadere ich bis heute, aber auf der Haben-Seite steht ein glorreicher Sommer, ein selbst eingeschlagener neuer Weg und damit bekommen die Grundmauern auch wieder ein Dach, vielleicht sogar eine Terrasse.

If I’m shinin‘, everybody gonna shine
I was born like this, don’t even gotta try
I’m like chardonnay, get better over time
Heard you say I’m not the baddest, bitch, you lied

(und an einer Religion arbeiten, in deren Zentrum Lizzo steht.)
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