Kopf, Beine, Dopamin

Ich weiß gar nicht woher es kam.
Natürlich, es war Dezember und ich fühlte mich seit Wochen wie stetig anschwellender Hefeteig völlig ohne Form und vor allem auch ohne Fokus.
Schritt 1: Die im Kopf wummernde aber unkonkrete Energie irgendwohin ableiten. Na gut, wollen wir mal das mit der Bewegung probieren. Und zwar noch im alten Jahr, harhar, nicht wie diese Vorsatz-Loser, die sich in der ersten Januarwoche im Fitnessstudio anmelden und bis Fasching die Sportsachen schon wieder zum Verstauben weggeräumt haben. The ever so helpful Twitter-Timeline (im Grunde zu hilfreich), gab mir ein paar Ratschläge bzw. Quellen an die Hand und kaum, dass die Rehkeule von Weihnachten vernichtet war, legte ich tatsächlich los.
Pilates, Cardio, Toning, Strength, Gedöns. Erstmal so 20-Minuten-Dinger, mit der Zeit dann mehr. Plötzlich war es Silvester und ich hatte eine Woche lang durchgehend Sport gemacht.
Das erste Mal seit… puh, vermutlich der Reha anno 2003 oder so.

Keine Ahnung woher die Energie plötzlich kam oder warum ich gefühlt erstmals etwas anfing ohne einen großen Plan oder ein ganz konkretes Ziel zu haben. Ich wollte mich einfach nur bewegen. Exercising Demons vermutlich.
Den ganzen Dezember hatte ich mich durch eine dichte, dunkelgraue Nebelwand aus Gedanken und Erinnerungen gekämpft und an irgendeinem Punkt muss mich mein Kampfgeist gepackt haben. (Hier stellen Sie sich bitte vor, wie Wonder Woman ihr Schwert aus dem Abendkleid zieht.)
An sich ist das alles sehr harmlos, ich werde kein Fitness-Bunny, aber ein bisschen radikal ist das für meine Verhältnisse schon. Heißhunger auf Obst, nach dem Büro als erstes die Yogamatte Zuhause ausrollen – ohne, dass ich es selbst mit viel Bedeutung auflade. Aber klar, für 15-35 Minuten ungefähr, lasse ich mir seit zwei Wochen täglich sagen was meine Arme tun, wie meine Atmung zu sein hat und warum ich mit den Hüftknochen in die Matte drücken soll. In dieser Zeit, also alles vom aussuchen des Workouts bis zum anschließenden Runterstürzen von viel Mineralwasser, ist mein Kopf komplett leer. Unbelagert und frei, nur mit Folgen und Atmen beschäftigt.
Feels like getting ready fo a fight.

Andererseits: Kaum hatte ich meine ersten Tage hintereinander brav praktiziert, mussten meine Untertanen, meine mir treu folgenden Twitter-Follower informiert werden! Because! Audience! Branding! Positive reinforcement!
Ah, nun. Schritt 2.
Es fing an zu klicken, wenn auch sehr langsam. In den Tagen nach Weihnachten merkte ich, wie ich mich auf den kleinen Kick am Ende der körperlichen Betätigung freute und damit leben konnte, wenn die Twitter-Timeline in der Zeit gegen irgendwas anbrüllte, das ich nicht verstand.
Schon in den Wochen davor hatte ich gemerkt, dass ich mittlerweile arg oft ins Wischphone blickte. Bei Langeweile, bei Frust, bei Neugier, Ärger – bei jeder Emotion, die nach Ausgleich verlangt. Klar, als News-Junkie und introvertierter Kauz liefert Twitter die für mich perfekte Mischung aus Substanz (Eilmeldungen, Stammstreckenprobleme, Links zu Artikeln) und Nonsens (Fussball, Aufregerei, Kartoffelsalat).
It’s a trap – das war mir durchaus immer klar. Der Impuls nach einer Pause war schon seit einigen Wochen da, aber Pegelwichteln, Weihnachten, das geht doch nicht ohne diesen absurden Haufen. Zu nah sind mir zu viele von den „Twitter-Bekanntschaften“ längst. Aber auch die Einschätzung bzw. das Verschätzen dieser Distanz in beide Richtungen war dieses Jahr eine große Lektion.
Also mal von außen einen Blick drauf werfen?

Wobei, so hatte ich das letztes Mal gemacht. Nicht gepostet, aber immer mal wieder reingelinst. Nein, das würde das Verhältnis nicht erhellen, ich wäre bloß ein blöder Stalker. (Ja, natürlich habe ich auf Netflix „You“ gebingt. Das ist genau meine Sorte Highbrow-Trash. Delicious.)
Der Silvester-Reset mit leeren Mute- und Block-Listen gehört eh schon ein paar Jahre dazu, warum da nicht gleich ein paar zwitscherfreie Tage einlegen, no big deal, richtig? Ja. Tja. Nun.

Es ist eine Sache auf den Kick von Likes und Retweets zu verzichten, wenn man an den Weihnachtstagen auf der Couch in einem Buch versinkt oder Pilates-Posen macht. Es ist etwas völlig anderes in einem Büro zu sitzen und nicht alles erlebte, gefühlte oder gelesene aufderStelleSOFORT mit dem Schulhof in der Jackentasche zu teilen. Ich hatte deutlich unterschätzt wie sehr mich die Krücke Twitter in den letzten Monaten am Leben gehalten hatte.
Wann immer ich einen Gedanken nicht zu Ende führen wollte, wann immer mir nach Ablenkung war (Spoiler: oft.), da war eine durchgängige Quelle an neuen Statusmeldungen, egal wie trivial.
Ich hatte Gottseidank nie die Fähigkeit verloren mich völlig in einer Aufgabe zu verlieren, so sehr, dass Stunden an mir vorbeizogen und ich nichts mitbekam – aber das rumwarten, den Kleinkram dazwischen, der meine Aufmerksamkeit einfach nicht zu 100% durchgehend fesseln kann? No fucking way.

Schritt 3.
Die ersten drei Werktage ohne den großen publiken Gruppenchat sind … merkwürdig. Ich gucke auf Instagram, sogar mal wieder auf Facebook (so einmal im Monat, einfach um zu sehen, ob es noch da ist). Dort sehe ich ein paar Twitterbekanntschaften und winke, äh, like ein bisschen rum. Naja, als Methadon auch ungeeignet.
Ich merke schnell: Twitter ist mein Tick, mein Coping-Mechanismus. Aber ist das wirklich so schlimm? Schließlich ist es nicht der Dienst, nicht das Framework, sondern es sind die Menschen dort, mit ihren Eigenheiten, genauso vorhersehbar wie manchmal hysterisch oder komisch. Die Memes, die Inside-Jokes, es gibt schlechtere Security-Blankets. (Himmelherrgott, was ist denn heute mit der Sprachpanscherei.)
Aber auch wenn mir die Menschen fehlen, ich merke wie sehr diese Clique ein Reflex, eine Flucht geworden ist.
Man möge mich nicht falsch verstehen, ich halte es mit mir allein gut aus. Immer schon, zu gut eigentlich. Raus gehen und zu anderen, Dings, Menschen, Kontakt aufnehmen – nicht meine Stärke. Auch der Small Talk in der Kaffeeküche oder was sonst so unter netzwerken fällt – eher nein.
Jetzt kommt der unangenehme Teil: Lasse ich mich von meiner Timeline davon abhalten engere Kontakte z.B. im Büro zu knüpfen? Jetzt, ohne Twitter, bin ich ein bisschen dazu gezwungen das zu Ende zu denken und ich merke, wie ich fast Junkie-artig zum Telefon und der rettenden Ablenkung greifen will. Ich sollte noch ein paar Tage dranhängen.

Schritt 4.
Dass stattdessen jetzt völlig ausufernde Blogeinträge entstehen, das Fass machen wir bitte ein andermal auf.

Fragen 451-475 (von hier)

451. Wann hast du zuletzt Fotos eingeklebt?
Äh…Oh, auf die gerahmte Collage mit den Familienfotos, das war in diesem Herbst.

452. Worüber hast du vor Kurzem deine Meinung geändert?
Vor Kurzem? Nö, eigentlich nix.

453. Wann wärst du am liebsten den ganzen Tag im Bett geblieben?
Ach, das passiert zuletzt öfter. Gern den kompletten Dezember, aus Gründen.

454. Glaubst du an eine offene Beziehung?
Hauptsächlich stell ich mir das logistisch schwierig vor. Abgesehen davon: Ich glaube zumindest, dass Monogamie so wie wir uns das vorstellen gegen Biologie, menschliche Schwäche und gewisse Reize einen echt kritischen Stand hat. Andererseits: Don’t know a thing ‚bout L-O-V-E.

455. Welches Gesetz würdest du einführen, wenn du in der Regierung sitzen würdest?
Allein könnte ich das ja Gottseidank eh nicht, aber ich glaube, ich würde allen Lobbyisten aus der Wirtschaft Zugangsverbot zum Regierungsviertel erteilen. Dann würde ich mir Krankenschwestern, Pfleger, Kindergärtner und Pädagogen einladen und fragen, wie man ihnen das Leben leichter machen könnte.

456. Was würdest du mit einer Million Franken tun?
Huch, gleich Franken. Moment, ich muss rechnen. Das könnte für ein Haus in Oberbayern grade so reichen. (Also eins mit Platz für mehrere Generationen / Familien / Gäste.)

457. Wie hiess oder heisst dein Lieblingskuscheltier?
Ich hatte eigentlich immer nur einen Bär, der hieß halt Bärli. Den bekam ich qua Tapferkeit anlässlich meiner ersten OP, das muss 91 gewesen sein. Ich hab ihn immer noch.

458. Was war deine weiteste Reise?
Kapstadt, Südafrika. Jederzeit wieder.

459. In welcher Haltung schläfst du am besten?
Jemand nannte es mal katzenartig, was sich darauf bezieht, dass ich auf der Seite liege, größtenteils zusammengerollt aber gern mit einem Bein schräg von mir gestreckt. Mit ausgefahrenen Krallen, oder so.

460. Zu wem gehst du mit deinen Problemen?
Das übe ich noch und ich teste je nach Problem. I’ll get back to you.

461. Für wen bist du eine Inspirationsquelle?
Ha. Haha. Hahahahahaha. Axtmörder everywhere?

462. Wann hast du zuletzt einen Sonnenaufgang beobachtet?
Heiligabend, der benachbarten WG-Party sei, äh, dank.

463. Wie hoch war das höchste Gebäude, das du je besucht hast?
Ich habe schlicht keine Ahnung.

464. Können andere auf dich bauen?
Das hoffe ich.

465. Was ist das Verrückteste, das du jemals getan hast?
Verrückt, das klingt immer so nach Basejumping oder wenigstens der kross-kontinentalen Jagd nach der großen Liebe. Ich hab das Studienfach gewechselt, einen Job geschmissen ohne zu wissen was als nächstes kommt, ich schreibe sehr googlebar über mein komplettes Innenleben und, naja, manchmal starte ich Hashtags die dann rumeskalieren?

466. Kaufst du häufig etwas Neues zum Anziehen?
Die Frequenz steigt, seit ich weiß was funktioniert und wo ich es bekomme. Kleidchen! Ich bin jetzt jemand der Kleidchen trägt, issesdenndieMöglichkeit!

467. Würdest du einen Teil deiner Intelligenz gegen ein sensationelles Aussehen eintauschen?
Das wäre natürlich absolut unfeministisch und auch völlig…wie groß müsste der Teil der Intelligenz sein?

468. Weisst du, ob du jemals einen heimlichen Verehrer hattest?
Zumindest wurde mir einmal in der Grundschule im Nachhinein bestätigt, dass ich ‚für ein Mädchen ganz cool‘ wäre und dann war da einige Jahre später noch der angetrunkene Klassenkamerad, der extra nach Draußen kam, um laut und deutlich mitzuteilen, dass er entgegen aller Gerüchte ganz bestimmt nicht in mich verliebt wäre. Die Gerüchte waren allerdings allen Anwesenden neu.

469. Welches Schmuckstück trägst du am liebsten?
*begutachtet Ohrring-Sammlung*
Ich mag halt Sachen die glitzern, herrgott.

470. Was würdest du dein zukünftiges Ich fragen wollen?
„Bist du ganz sicher, dass das alles so sein musste? Ernsthaft?“

471. Würdest du bei deinem Partner bleiben, wenn deine Umgebung ihn ablehnen würde?
Komplett ablehnen? Dann würde ich zumindest sehr stark überlegen, weil dann könnten sie etwas sehen, was meine rosarote Brille (ha. Haha.) verbirgt.

472. Wann hast du zuletzt etwas gebacken?
Das letzte müssten die Schoko-Espresso-Brownies für das Weihnachtsdessert gewesen sein. Sehr fluffig, sehr gut.

473. Für welche Gelegenheit warst du zuletzt schick angezogen?
Was heißt Schick? Das mit den Kleidchen fängt an zu eskalieren, Jeans hab ich keine mehr und langfristig will ich eigentlich nur noch overdressed irgendwo auftauchen. Aus Prinzip.

474. Welche Redensart magst du am liebsten?
Das Ramosgroupie hat mal gesagt – wer im Glashaus sitzt, sollte nicht die Flinte ins Korn werfen – und ich finde, sie hat da recht.

475. Was ist auf dem Foto zu sehen, das du als Letztes aufgenommen hast?
Die Schäffler beim Start ihres ersten Umzugs dieses Jahr. Tatsächlich komplett zufällig, but that’s bavarian Stars Hollow for you.

1

One thought on “Kopf, Beine, Dopamin

  1. „Aber klar, für 15-35 Minuten ungefähr, lasse ich mir seit zwei Wochen täglich sagen was meine Arme tun, wie meine Atmung zu sein hat und warum ich mit den Hüftknochen in die Matte drücken soll.“

    Das fand ich, als es #yogamitmann noch gab, das Beste an Yoga. Komplette Entspannung dadurch, dass man sich komplett darauf konzentrieren muss, was einem jemand anders vorkaut.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert