Neulich beim Blick in den Spiegel leicht erschrocken. Meine linke Gesichtshälfte zeigt langsam an, dass ich nicht mehr 27 bin. Nicht schlimm, alles sehr dezent. Die Nasolabioalfalte, der Mundwinkel, unter den Augen zeichnen sich leichte Vertiefungen ab. Ich kann damit leben. Also, könnte ich, wenn die rechte Gesichtshälfte mitmachen würde.
Aber nein, nichts, alles glatt wie immer. Es gibt auch Mimik-Bewegungen, die kriege ich rechts nicht hin. Die wilderen Ärzte hatten hier und da immer mal die Theorie, dass der kaputte rechte Fuß nur das Ende einer leicht angedätschten rechten Seite ist. Vielleicht hatte ich als Ungeborenes ein kleines Schlagerl oder irgendwas anderes, das zu einer ganz kleinen Seitenlähmung geführt hat.
Nichts was groß jemals aufgefallen wäre. Okay, Handschrift hab ich keine, aber das könnte auch einfach meine Grobmotorik sein.
Aber kaum wartet man 33 Jahre, schon sieht man, dass hier was nicht stimmt. Jetzt denke ich die ganze Zeit darüber nach, ob ich vielleicht nicht nur eine kauzige alte Frau, sondern auch noch eine sehr merkwürdig aussehende werde. Mit einer Gesichtshälfte, die meinem tatsächlichen Alter entspricht und einer, die immer einige Jahre, haha, hinterherhinkt.
Worüber man halt so nachdenkt.
Wie ich da so nachdachte, brach eine von diesen Wellen über mich hinein. Eine von den Erkenntnissen bei der man danach sagt, BOAH, das hättest du wirklich eher sehen können.
Weil: Die Sache mit dem Hinterherhinken ist in meinem Fall ja keine rein metaphorische. Es waren immer alle schneller als ich, sind an mir vorbei gezogen, vorangegangen. Womit ich mich physisch mehr oder minder abfinden kann, aber der Rest ist damit eben nicht einverstanden.
Muss man halt schneller denken und schneller reden und Abkürzungen finden, damit nicht immer alle bei allem schneller, früher da sind.
Was sie aber trotzdem sind. Alle haben eher geknutscht, alle hatten die Tricks im Studium früher raus, gefühlt machen natürlich auch alle schneller Karriere. (I KNOW, ihr fühlt euch auch alle so, aber lasst mich mal meinen Punkt machen.)
Weil, man entwickelt dann so eine fiese Seite. Man merkt sich die wenigen Gelegenheiten wenn jemand hinter einem geblieben ist und die seltenen Momente, wenn jemand stehengeblieben ist und gewartet hat. Oder wenigstens umguckte, wo ich blieb. Sowohl auf der echten Strecke als auch der metaphorischen. Und irgendwann, mittendrin, muss ich eine Dreckspanik bekommen haben, dass ich nicht ankomme. Keine Ahnung warum genau, aber irgendwo war da so eine stille Wut, ein keuchender Ärger darüber, dass alle anderen immer zuerst vorwärts kamen.
Klar, ich hätte ja auch mal stehenbleiben und mich umschauen können, ob ich auf jemanden warten muss (wobei da eigentlich nie jemand drauf Wert legt) oder ob es, wenn ich noch ein bisschen warte, jemanden gibt in dessen Windschatten ich unterwegs sein könnte. (Sie wissen schon, wie beim Biathlon, wenn einer bis kurz vor Schluss hinter dem Führenden zurückbleibt und dann erst kurz vorm Ziel überholt. Wie jetzt, Sie gucken keinen Wintersport?)
Jetzt sind mir schon wieder Schußwaffen dazwischen gekommen – wo war ich? Ach ja, genau, der schleichende Zynismus, der einen ergreift, wenn man selber nicht mal ordentlich schleichen kann. Das klingt jetzt alles schon wieder selbstmitleidiger als beabsichtigt, weil hinaus will ich eigentlich auf die Perspektive. Ich gucke also die meiste Zeit anderen hinterher und komme mir dabei dämlich vor. Einen freien Horizont habe ich immer erst, wenn die anderen schon über den Berg sind und ich grade erst oben stehe. Das ist merkwürdig und kostet Kraft und in diesen Tagen denke ich, hat mich das zu einer ausnehmend anstrengenden Person gemacht.
Schließlich habe ich an dieser Stelle schon durchaus ausführlich darüber geschrieben, wie ich aufgehört habe mich zu vergleichen und vor allem nur noch sehr bedingt Wert darauf lege, was andere von mir denken. Im Kern stimmt das auch. Außer bei denen direkt vor mir auf der Strecke. Das meint weniger Kollegen und Freunde als, so stelle ich fest, Menschen mit ähnlicher Persönlichkeitsstruktur. Also durchaus etwas sperrig und nicht vollends für den einfachen, direkten Weg geeignet. Wenn sogar solche an mir vorbei ziehen, macht das etwas mit mir. Es ist gleichermaßen Kränkung wie Motivation und generell enervierend. (Oh je, jemand hat wieder Bücher gelesen und will jetzt hier staubige Vokabeln unterbringen.)
Vielleicht gibt es einen guten medizinischen Grund für mein asymmetrisch alterndes Gesicht. Vielleicht zeigt sich auch nur, dass die Hälfte von mir, die manchmal eben doch nicht auf sich selbst guckt, sondern anderen hinterher trachtet, schneller altert.
Ich denke nicht, dass Anti ageing Kosmetik da eine Lösung für hat. Aber so wirklich habe ich auch keine. Wenn eine Perspektive so sehr Teil von einem geworden ist, wenn man nichts anderes kennt, seit man auf zwei Beinen steht – kann man das nochmal loswerden? Is there an app for that?
Fragen 501-525 (von hier)
501. Lässt du dich gern überraschen, wenn du essen gehst?
Es gibt zwei Arten von Essen gehen. Nr. 1: Ich will gut essen, etwas neues am besten, gern exotisch und wie ich es nie nachmachen könnte. 2. Ich hatte einen unsagbar blöden Tag und will sofort die Penne dello Chef / die Frühlingsrollen / das richtig scharfe Curry für mein Seelenheil haben. Es überwiegt zwar Variante 1, aber für eine Pauschalaussage langt es natürlich nicht.
502. Was war die beste Entscheidung deiner beruflichen Laufbahn?
Ich habe zwar die Hoffnung, dass die noch kommt, aber bisher – am Ende doch der naive Pitch für den Accelerator. Auch wenn es nicht wurde was sein hätte können, die Monate haben mir neue Horizonte eröffnet und mich neu über mein Berufsleben nachdenken lassen. Das war’s wert.
503. Wie heisst deine Lieblingsblume?
So ein Klischee, aber ich mag Orchideen.
504. Glaubst du, dass man dich hypnotisieren kann?
Eher so mittel.
505. Was musst du endlich wegwerfen?
Diverse Erwartungshaltungen, einige Ansprüche, eine ganze Kiste anhaltender Ressentiments und ach so, ein paar alter Schuhe.
506. Welche Stadt im Ausland würdest du gern besuchen?
Wie lang darf die Liste sein? Aber New Orleans ist aktuell die Stadt, die eigentlich weit oben auf der Wunschliste steht aber auch unerreichbar scheint, weil dieses Amerika ist kein Land in das ich reisen will.
507. Trägst du häufig Lippenstift?
Mittlerweile ja, sehr oft.
508. Wie trinkst du deinen Kaffee am liebsten?
Viel Milch. Guter Kaffee: Nur ein Hauch Zucker. Bürokaffee: ZUCKER.
509. Gehst du gelegentlich auf einem Friedhof spazieren?
Oft und sehr gern. Die alten Namen, die Geschichten, die man aus den Gräbern liest, ich liebe das.
510. Wie viel gibst du maximal für eine gute Flasche Wein aus?
Uiuiui. Das ist so ein Wert, der merklich steigt. Ganz lange waren 15 Euro sehr viel Geld, dann 20. Sehr viel mehr als 20 Euro sind es auch aktuell nur ganz selten, allerdings waren es für eine wirklich, wirklich gute Flasche eben jetzt auch schon mal über 30 Euro. Das ist dann aber auch eine Flasche für einen bestimmten Anlass und nicht für mich allein, sonst könnte ich das mit mir nicht gut ausmachen.
511. Wie würdest du deinen Kleidungsstil beschreiben?
Sophisticated Langeweile.
512. Was ist wahr geworden, wovon du als Teenager geträumt hast?
Noch zu wenig.
513. In welchem Meer bist du zuletzt geschwommen?
Das ist auch schon wieder viel zu lange her. Im Mittelmeer.
514. Kochst du oft Fertiggerichte?
Nein, ich bin viel zu verzogen dafür. Manchmal sind Notfall-Pommes im Haus, für ganz üble Abende auch Ramen, aber mehr niemals.
515. Wo fühlst du dich geborgen?
Am Wasser. Im Wasser. Auf dem Wasser.
516. Was ist dein Schönheitsgeheimnis?
*blickt in den Spiegel*
Schlechte Augen…?
517. Bist du manchmal streng mit dir?
Immer, befürchte ich.
518. Welche Geschichte wird schon seit Jahren immer wieder in deiner Familie erzählt?
Gibt es so viele. Wir sind eine Anekdoten-Sippe. Ich mag die, in der die Clique meines Vaters seinerzeit das Lokalverbot umging, in dem einer sich als Handwerker einschlich, zuerst den Strom abstellte (die Band hat halt weitergespielt. So lang ist das her.), den Rest über die Terrasse nachholte und einer schließlich ein ganzes Tablett vom Kuchenbuffet mitgehen ließ. (Nein, das mit dem Kuchenbuffet klingt zwar nach ihm, er war aber wohl mit einer jungen Dame beschäftigt. Nix ausgelassen. Nix.)
519. Wann bist du zuletzt den ganzen Tag an der frischen Luft gewesen?
Den GANZEN Tag? What is this witchcraft you speak of?
520. Wie schön schreibst du noch mit der Hand?
Genauso hässlich wie immer schon.
521. Welcher Dokumentarfilm hat dich beeindruckt?
Zuletzt? Wild Wild Country, die mehrteilige Reihe auf Netflix. The Act of Killing hängt mir bis heute in den Kleidern. Und Paris is burning ist ein kraftvolles Werk, das auch zeigt wie lang der Weg noch ist.
522. Machst du in der Regel das, was du willst?
In der Regel erst recht nicht, da hat man ja Krämpfe….‘tschullingung, ich hab manchmal so einen Reflex.
Joah, im Allgemeinen schon.
523. Wie weit hast du deine Vergangenheit hinter dir gelassen?
Nicht annähernd weit genug.
524. Was solltest du eigentlich nicht mehr tun?
Über die Vergangenheit nachdenken.
525. Magst du klassische Musik?
Zumindest Opern und einige Konzerte, wenn auch sehr mainstreamig. Die Romantiker, italienische Hysterie, russische Walzer.
Falten sind schön. Sie sind ein Zeichen des Älterwerdens. Und das ist auch schön.