24 Letter – Brief 4

Was es mit den 24 Briefen auf sich hat, steht hier.

Grafik einer altmodischen Postkarte mit Text:
"Mixtape-Zeit: 5 Songs, 5 kleine Geschichten. Nicht deine Lieblingslieder, nicht deine besten Konzerte. Was lief, als du so unfassbar betrunken warst? Oder was hast du angeworfen nach dem großen Streit mit deinen Eltern? Wie fängt deine Playlist an, um dich zum Putzen zu motivieren oder die Fahrt in den Urlaub zu begleiten? Was ist deine Einlaufmusik, wenn du in den Kampf ziehst? Erzähl. Und wehe, es ist nix Peinliches dabei. "

Barcelona – Freddie Mercury & Montserrat Caballé

Ich weiß nicht, ob es als “kleine Geschichte” durchgeht, aber es ist eine von diesen Erinnerungen. Es muss wohl 1992 gewesen sein, ich war also 6 Jahre alt, saß im Fernseh-“Kammerl” der Oma, mit Karamellbonbons, grade eben lief noch “Herzblatt” und dann, ich erinnere mich nicht mehr an den Kontext, das Video von der großen, imposanten Frau mit der Stimme aus einer anderen Welt und daneben der Mann, von dem mir meine Mama schon erzählt hatte. Es ist nicht wirklich eine Geschichte, aber eine von diesen Erinnerungen, als man bei einer Kunstrichtung einen neuen Level freigeschaltet hatte. Musik, das war bis dato halt, was aus dem Radio kam und manchmal so Opernkram, den Mama aufgedreht hat. Das hier, das war die Verbindung von ALLEM und es war groß, massiv, beeindruckend und ganz offensichtlich wichtig. Ich hatte noch nicht das Vokabular dafür, was eine Hymne ist, aber von da ab hing ich an der Nadel des Bombast. Ganz ehrlich, wenn einem der letzte nach oben wandernde Ton von Montserrat nicht durch Mark und Bein geht, are you even human?

Larger than Life – Backstreet Boys

Obacht, wichtig sind die ersten Sekunden in genau der Version. Erinnert ihr euch an diese Teenager-Phase, als Morgens Aufstehen die schwierigste Sache der Welt war? Just me und mein autistic Burnout? Anyway, auf der Suche nach Wegen tatsächlich wach zu werden, stieß ich auf dieses kleine Juwel und die patentier-würdige Lache von A.J. McLean . Ich hatte diese rasend schicke Ministereoanlage, die man an der Wand montieren konnte, wegen des vertikalen CD-Players – die Älteren erinnern sich. Das Ding wiederum hatte eine Zeitschaltung und nachdem ich mir angewöhnt hatte jeden normalen Wecker während der Nacht oder kurz vorm Klingeln auszumachen, hatte ich hier keine Wahl. Ein kreischendes Lachen plärrte durch mein Kinderzimmer, der Beat setzte ein und nochmal Einschlafen war nicht. An ganz harten Tagen bin ich dann damals noch 5 Minuten kalt duschen gegangen (auch schwer vorstellbar heute). Ohne zu sehr auszuholen, aber ausgerechnet dieses Album spielte damals an mehreren Fronten eine Rolle und darum gucke ich mit Nachsicht und Nostalgie drauf. (Black and Blue is the superior Album, mit ähnlich bemerkenswerten Intros, come @ me.)

Wish you were here – Incubus

Incubus und die Liebe dazu hatte die N., eine der allerersten Internetfreundinnen von ihrem USA-Aufenthalt mitgebracht. Das Album “Morning View” wurde ein großes Verbindungskabel zwischen mehreren Menschen quer durch die Republik und das war das Lied, dass ich hörte, wenn ich die Realität mal wieder nicht aushalten konnte, weil da niemand in der Nähe war, der mich mochte. Wir hatten ja noch keine Smartphones, alles mit Internet hat extra Geld gekostet und die Stunden im Chat oder den Foren mussten ordentlich geplant werden. Also hört man Musik und denkt fest an Menschen, um die Zeit zu überbrücken. Plus, man ist 16 oder 17 und es bricht eh gerade alles zusammen, weil man nicht weiß, wie man durchhalten soll, bis alles besser wird. Die Band war generell eine gute Brücke. Nicht so fröhlich wie die herrschende Popmusik (siehe oben), nicht so dramatisch wie die vorherrschende Gefühlswelt mit Linkin Park, Nirvana und den NineInchNails. Jedes Album klang wieder ein bisschen anders und da war zwar Schwermut, aber eher lebensbejahend, kalifornisch. Plus, Brandon Boyd konnte man anhimmeln ohne Credibility zu verlieren. Gilt übrigens immer noch.

Rock’n’Roll Suicide – David Bowie

Gute Überleitung, weil beim Incubus-Konzert war ich später auch mal mit dem A. Aber der Reihe nach. Mit 18 endlich die Beinverlängerung, endlich auf “eigenen Füßen” stehen, aber bis dahin musste ein bisschen was ausgehalten werden. Geholfen haben dabei die Mix-CDs vom A. in meinem lilafarbenen Discman, vor allem im Krankenhaus, frisch verschraubt und alles. Die Mixes waren immer sehr liebevoll kuratiert zum Anlass, hier inklusive “wenn es weh tut” bis “zum Einschlafen” (wie ich lernte Van Morrison zu lieben). Ich weiß nicht mehr, was neben dem Song stand, aber ich verbinde ihn bis heute mit heilenden Knochen und dem Effekt von jemandem, der beruhigend auf einen einredet und sagt, dass alles gut wird. Ja mei, manchmal sind Text und Wirkung auch eher …. nicht parallel. Auf den CDs war viel, was ich vorher nicht kannte, mancher neue Mix und ich bilde mir ein, dass ich Rock’n’Roll Suicide vorher auch nicht kannte. (Ich habe große Lücken bei Bowie, werft ruhig Steine, meine Eltern waren early Boomer, ich bin mit Motown groß geworden, nicht mit Stardust.) Jedenfalls, ich denke bei dem Lied bis heute an den A., an meine Narben und daran, dass vielleicht alles gut wird. Oh no love, you’re not alone.

My Shot – aus “Hamilton” von Lin-Manuel Miranda

Mein Fight-Song, mein “ich geh gleich in diesen wichtigen Termin und räum da alles ab” Lied und womöglich sollte ich darüber mal mit meiner Therapeutin reden. Festgesetzt hat sich das 2017, als ich kaum ein dreiviertel Jahr beim damaligen Arbeitgeber über den internen Accelerator für Produkt- und Start-up Ideen gestolpert bin. Mit bemerkenswerter Chuzpe, kaum Ahnung und erstmal ohne jemandem davon zu erzählen, habe ich etwas zusammen gezimmert und hab, naja, gepitcht. Was kann schon schiefgehen, dachte ich, allerdings nicht damit rechnend, dass es was werden könnte – bis es dann halt so kam. Am Ende waren es etwas mehr als drei Monate in einem kleinen, wilden, kreativen Büro wo jeder Tag irgendwo zwischen Hochspannung, bei Null Anfangen und heftiger Euphorie oszillieren konnte. Wie es eben ist, wenn man von einer Idee auf dem Papier zu einem Produkt, einer Firma kommen will. Leider wurde dem ganzen Projekt genau zum Ende von dem Jahr der Stecker gezogen und es blieben viele Fragen offen, was hätte sein können. Aber egal, die Geschichte von Lin-Manuel Miranda, der im weißen Haus erstmals von seiner Idee eines Musicals über Alexander Hamilton erzählt und eher belächelt wird, bis zu dem, was dann bekanntermaßen daraus wurde, das triggert meinen Kampfgeist. Auch aktuell wieder, aber das ist eine andere Geschichte. (Warum hier auch etwas über “the room where it happens” oder “I picked up a pen, I wrote my own deliverance” stehen könnte.)

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