Machen wir halt wenigstens den obligatorischen Kram, ne?
Ich glaube aber, wir haben jetzt alle genug darüber gelesen wie bescheuert und übel 2020 war. Für mich ist es eh so ein 50/50 Ding und das war auch schon mal schlimmer. Ernsthaft. Ich bin Single, Profi im Alleinsein, kann im Homeoffice arbeiten (sogar sehr viel arbeiten) und habe erträgliche Familie in ganz naher Distanz. Mal von der insgesamt maroden Weltlage und diesem, äh, kleinen Ausrutscher im Spätsommer abgesehen: Och ja.
Zu wenig geschrieben, definitiv. Aber 1. sage ich das jedes Jahr und 2. fehlte mir dazu wohl auch die Abwechslung im Leben. Ich kann nicht Tagebuchbloggen, meine Tage sind viel zu gleichförmig. Wochentags stehe ich auf, trinke Chai, setze mich an den Schreibtisch und versuche Chaos in Struktur zu wandeln, Egos zu bändigen und mich nicht zu oft zu fragen wie fürchterlich ich im Videocall aussehe. (Ernsthaft, ich bin ganz kurz davor so ein fucking Ringlicht anzuschaffen, weil mein eh schon fragiles Ego und das ständige sich-selbst-begutachten nicht gut miteinander können. Pfuideife.)
Vor allem wo die Muse für Make-up und Schmuck mit der Zeit eh immer geringer wird. Ich kann zwar im Homeoffice meine spektakulärsten Ohrringe tragen, aber wenn ich rausgehe ist das Blödsinn, weil haben Sie mal lange Haare und lange Ohrringe und Masken so lässig zusammenbekommen, dass es nicht im Knoten und Tränen endet? Eben. Aber was heißt schon rausgehen. Das tut man ja eh nur noch im Ausnahmefall. Stattdessen lernt man in welchem Rhythmus welcher Paket-Dienstleister kommen könnte und welches Meeting das eventuell sprengt. Weil natürlich bekamen auch die Auslieferer mit, dass jetzt wirklich immer jemand im Haus ist, da kann man schon mal klingeln.
Ich merke gerade, im Grunde besteht das ganze Jahr nur aus DerAktuellenSituation, obwohl es fast 3 Monate gab, in denen es noch eine Nachrichtenlage auf einem anderen Kontinent war. Im Januar gab es hier sogar mehrere Einträge und deren gemeinsamer Tenor war ungefähr: Oh je, mir geht es grade gut, gleich fällt mir ein Klavier auf den Kopf, was mach ich dann?
Ja gut Bella, so kann man sich die Welt auch präventiv kompliziert machen. Das war sogar ganz gut an diesem bizarren Jahr, in dem Traumurlaube verschoben, Feiern abgesagt und stattdessen wöchentliche Video-Call Umtrunke angesetzt wurden – mein Geduldsfaden in Sachen “ach da versäum ich nix” ist nicht nur gerissen, der ist weg. Sobald es wieder möglich ist, wird alles mitgenommen. Alles, ohne Rücksicht auf Verluste. (Hier denken wir uns jetzt alle unseren Teil was der hedonistische Backlash nach ca. anderthalb bis zwei Pandemiejahren dann mit unserer Gesellschaft macht. Andererseits ist mein Exzess ja eines anderen gemütlicher Abend.)
Notfalls mit Tinder, LSD und Bier, das außerhalb von Bayern gebraut wurde. Ich bin jetzt schmerzfrei, buchstäblich. (Das große Reflektieren zur prägenden Körperlichkeit des Jahres 2020 dann ein andermal an dieser Stelle. Es war…lehrreich.)
Anyways, wo war ich? Ach so, was ich tue, wenn ich nicht arbeite. Nicht viel, wie sich rausstellt. Bis zu der Sache mit dem Kopf war da noch Sport, den versuche ich ganz langsam wieder zu integrieren. Überhaupt erschien es im Sommer alles für einen Moment mal aushaltbar. Homeoffice, aber mit geöffneten Eisdielen und Balkon-Drinks in ausgesuchter Begleitung. Das hatte so einen winzigen Hauch von Boheme, ich hätte es so noch eine Weile ausgehalten. Aber is nich, weil gibt’s nich, sagen die Experten.
Natürlich auch nicht, weil das nur die Blase um meinen Kopf herum war. Ich habe genug “essenzielle” Menschen in meiner Umgebung, die seit März fast durchgehend schuften, über die Klatscherei nur verächtlich schnaufen und jetzt gern mal wüssten, wann sie endlich geimpft werden. Die kleine Stadt am Inn hat es im Frühjahr schon mal richtig durchgeschüttelt – auch jetzt sind die Zahlen wieder hoch, Hotspot ist hier eh der neue Untertitel *winkt in Rosenheim*. Die ersten gspinnerten Demonstranten hatten wir aber erst im November und das war dann auch mehr Theatralik als irgendwas anderes. Hier hat die Alternative für Doofe damals kein Bein auf die Erde bekommen und auch die Corona-Leugner mussten importiert werden, immerhin.
(Und leider ist es nicht meine Anekdote, sonst müsste ich jetzt von der Frauenärztin erzählen die zwischen “schönen Cervix haben Sie da” und “nur noch schnell die Vorsorge” auch so Dinge sagt wie “dieses 5G, also ich weiß ja nicht, die ganze Strahlung kann nicht gesund sein, das beeinflusst bestimmt auch den Virus und die Chinesen haben sich da schon was dabei gedacht, also…”.)
Man lernt ja im Zweifel das Thema zu wechseln. Oder sehr direkt zu werden. Gut, dass ich Laut und Besserwisserisch bin und auf Twitter von den richtigen Leuten die richtigen Artikel zugespielt bekomme, um solchen Personen zu erklären, wo der Bartl an Most holt. Nämlich.
Meine Arztbesuche waren alle eher langweilig bis enttäuschend und hauptsächlich in der Anzahl zu groß. Für Januar hängen hier schon wieder 3 Post-its. (“Wir haben jetzt nix gefunden, aber kommen sie für einen Nachfolgetermin bitte nochmal rein!”)
Und sonst? Ach, naja, so halt.
Weil nach dem ramponierten Schädel das Lesen und das Gucken (außer Fußball und das ist nochmal sein ganz eigener Kulturschock) nur so bedingt gut waren, hab ich viel gehört. Podcasts und Hörbücher, vor allem mit weiblichen Sprechern. Überhaupt Zuhören. Auch in den sozialen Netzwerken aufmerksamer verfolgen und weniger reingrätschen. Das nehme ich mit ins neue Jahr. Andere anfeuern, für die da sein, auf die es ankommt.
Vor kurzem habe ich irgendwo aufgeschnappt, dass wir dieses Jahr alle so müde sind, weil wir alle ein bisschen mehr gebraucht haben als wir in der Lage waren einander zu geben – so sehr wir uns auch bemüht haben. Selbst, wenn man in der Lage war einen Teil der generellen Lage auszublenden, es gab und gibt genug Baustellen, die das große Bild zu düster machen. Egal wie autark, egal wie wirtschaftlich sicher, egal wie eingebunden man durch Freunde oder Familie ist – irgendwo im Kuddelmuddel aus Trumpism, Merzism, der Klimakatastrophe, BlackLivesMatter, MeToo, Naturkatastrophen und Kapitalismus ganz allgemein stürzen zu viele Dinge auf uns ein, um jeden Moment das Rückgrat durchzustrecken, die Lungen mit Sauerstoff zu füllen und dann womöglich noch lächeln und optimistisch zu bleiben.
Sollten Sie jemanden kennen, der es trotzdem hinkriegt – fragen Sie welche Substanzen man dafür einnehmen muss und wo man die bekommt – nein, Yoga ist keine glaubwürdige Antwort.
Na 2021, was hast du so zu bieten? Ich weiß, dass der Job fordernd aber auch fördernd wird, ich habe Hoffnung, dass ich ein paar Menschen endlich wiedersehe, mit denen ich schon lange mal wieder mehr als telefonieren will. Vielleicht, ganz ganz vielleicht gibt es im zweiten Halbjahr genug Impfungen, dass sich auch mal wieder eine kleine Gruppe treffen kann. Zum Grillen, zum Trinken, zum Rumblödeln. That would be nice.
Schreiben muss ich wieder mehr, also drastisch. Weil: Es ist so wie das mit dem Sport. Das Überwinden ist nahezu unmöglich, aber wenn man es dann tut, fühlt man sich halt so viel besser. Es ist und bleibt meine beste Therapie.
Womöglich muss irgendwas Kreatives her, irgendwas nur zum Spaß. Irgendwas außer Brotbacken.
Silvester habe ich zuletzt schon allein verbracht, das wird nicht so anders. Nur leiser. Oder ich drehe doch wieder die Musik auf. Am Abend wird nochmal die hiesige Gastronomie unterstützt und der Lieblingsitaliener geplündert (Is there such a thing as too many Vorspeisen? I don’t think so.)
“Bloß da Noud koan Schwun lossn” wie meine Sippe gern sagt und das kann man zwar übersetzen, aber halt nur wörtlich und nicht…so vom Sinn her. Es ist vielleicht die Kernaussage für mein 2020. Alles ist Dreck, aber es sind Antipasti und Champagner im Kühlschrank, vor meinem Fenster fließt der Inn als wäre nichts geschehen und so wird es auch nächstes Jahr sein. Alles ändert sich, alles fließt, alles hinterlässt Spuren.
Wohl an 2021, mögest du deinen Eindruck anders hinterlassen.
P.S. Ich gebe nicht Ruhe, bis ihr nicht alle dieses Album gehört habt, HERRGOTTNOCHMAL. All hail Fiona und meiner Seelenrettung 2020.
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