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in der ich Niveau-Limbo tanze

"Sag mal Bella, warum hast du den zu den ganzen Diskussionen nichts geschrieben?" Nun, da sind zunächst die offensichtlichen Dinge. Zuwenig Zeit, zu viele kluge Texte anderer Leute. Außerdem habe ich erneut festgestellt, wie wenig ich eigentlich weiß. Eine erste Ahnung davon bekam ich bereits während meines Gastspiels bei den Stützen der Gesellschaft. Die dortige, famose Kommentatorenschaft wirft sich galant die Literatur-Referenzen zu und ich google hektisch lateinische Phrasen. Ähnlich fehlt mir der akademische Boden in Sachen Feminismus. (Wobei ich das für gar nicht mal so schlecht halte.) Aber die Wahrheit ist: Ich bin doofer als die meisten glauben. bling bling Das ist keine Koketterie, sondern der Versuch einer Einordnung. Das Internet raubt dem Begriff "Allgemeinwissen" langsam die Berechtigung. Weil, was ist schon noch allgemein? Dass ich den Kader des FC Bayern aufzählen kann, weiß wer grade Bildungsministerin ist und das Style Sheet des Blogdingsis selbständig ändern kann? Oder fehlt mir jedes Allgemeinwissen, weil ich außerhalb von H2o keine einzige chemische Formel kann, nicht ein einziges Buch von Günther Grass gelesen habe und bis vor kurzem dachte Casper (Rapper, Emo, Hoodie) und Cro (Rapper, Emo mit Synthezisern, Pandamaske) wären ein und dieselbe Person? Weil ich meine Jugend und Kindheit weniger mit Gleichaltrigen und mehr in Phantasiewelten (eigene, niedergeschriebene) verbracht habe, ist mein Wortschatz nicht der schlechteste. Darum bin ich auch schwer zu beeindrucken. Filterbubble hin, Bildungsgrad her - ich war mir immer sicher gar nicht sooo schlecht da zu stehen. So lautete auch die Rückmeldung meiner Umgebung. Ich wurde also wegen allem nach einer Antwort und bei vielen Dingen nach einer Meinung gefragt. Ein Teil von mir entwickelte auch den absurden Ehrgeiz immer die richtige Antwort zu kennen und eine möglichst differenzierte, blumig formulierte Ansicht zu besitzen. Dass mein Charakter so kantig ist, liegt zum Teil mit Sicherheit daran, dass ich immer nur versucht habe meinen Intellekt zu feilen. Der Rest lief halt so mit. Dabei ist das alles nur eine Frage der Perspektive. Als in der zwölften Klasse eine Mitschülerin hinter dem Kürzel SPD die sozialpädagogische Partei Deutschlands vermutete (dies war ihr ernst und kurz darauf erhielt sie die Fachhochschulreife) wirkte ich dagegen natürlich brillant. Genauso hat mein Hang zu Diskussionen mir gewisse, rhetorische Werkzeuge verschafft. Und wer Reden schwingen kann, wirkt schnell clever. Ob nun in 140 Zeichen oder auf 1000 Worte verteilt - wer den Geist mit Worten auf eine Fährte führen kann, gilt als raffiniert und wird erstmal zur Kenntnis genommen. Das Problem der Filterbubble ist nicht was drin oder draußen ist, sondern dass überhaupt nur wahrgenommen wird, was ungefähr auf dem eigenen Bildungslevel artikuliert werden kann. Das war bis zu einem gewissen Grad immer schon so. Dass wir Menschen mit verpeilter politischer Orientierung mittlerweile automatisch Dumm nennen, obwohl sie das ja nicht immer sind, ist Ausdruck der nicht vorhandenen Anerkennung dieser Einstellung. Der Nazi ist immer ein dummer Nazi, weil dumm schlimmer ist als falsch. Außerdem können wir uns auf dumm einigen. Was heute richtig oder falsch ist, darüber geraden wir in Seitenlange Auseinandersetzung. Daher ist diese intellektuelle Sortierung ein Filtermechanismus, den die meisten von uns nachvollziehen können. Aber auch einer, mit nur einer Messungsgröße. Der Sprache. Darum ist das Internet toll für alle, die immer schon wissbegierig waren. Wir finden zu jedem Thema einen klugen Text, eine neue Anregung. Es macht also da weiter, wo mitreißende Lehrer, Dozenten und enthusiastische Freunde angefangen haben. Wir können uns in ein Thema vergraben oder dank Links vom Baum zum Zweig und vom Zweig zum Ast hangeln und am Ende landet man bei einer absurden Sexualpraktik. (Verdammt, jetzt hab ich wieder den drunt in der grünen Au - Ohrwurm.) weltanschauung, anders Hin und wieder habe ich mit jungen Menschen zu tun, deren Leben fernab aller Memes und Shitstorms stattfindet. Sie arbeiten mit Menschen die manchmal einfach nur langsam denken oder Schwierigkeiten haben diese Gedanken zu äußern. Die aber jederzeit intelligent genug sind, um ihre Betreuer und Pfleger auszutricksen oder zu erheitern. Das Internet dieser jungen Menschen mit mittlerer bis hoher Bildung ist Facebook für Fotos, Whatsapp für tägliche Kommunikation und Youtube für lustige Videos. Mehr brauchen sie kaum. Sie beherrschen ihr Fachvokabular, schreiben sich aber Emails in komplettem Dialekt. Sie haben aber, im Gegensatz zur mir, Bausparverträge, sind komplett versichert, betreiben strategische Altersvorsorge und stehen den praktischen Dingen des Lebens ganz allgemein weniger verwirrt gegenüber. Sie finden mich zwar clever, aber auch verkopft, unpraktisch und wahnwitzig tollpatschig. (Zugegeben, sie haben recht.) Was in Büchern schon als "emotionale" Intelligenz bezeichnet wurde besitzen sie ohnehin mehr als die meisten anderen. Überdurchschnittliche empathisch nehmen sie ihr Gegenüber, egal was für große Reden es schwingt, psychologisch auseinander und reagieren entsprechend. Ich nenne es nützliche Intelligenz. Was fehlt, ist die Meta-Ebene. Also der schwer greifbare Überbau, der online dafür sorgt, dass wir Twittergespräche ohne direkt Anrede (Postmentionismus) führen, Popkulturzitate im ironischen Kontext anbringen und so ein Netz aus Bezugspunkten schaffen, das uns das Gefühl verleiht auf der richtigen Seite von etwas zu stehen. (Also nicht doof zu sein.) Darum gehe ich momentan Diskussionen und Themen online etwas anders an. Kann ich zu dem Thema einen wirklich neuen Gedanken beitragen? Kann ich dies, ohne mich dabei in sprachliche Finessen und ein paar lakonische Bemerkungen zu flüchten? Wenn die Antwort dazu nein lautet, halte ich im Rahmen meiner Möglichkeiten die Klappe. (Wir reden hier immer noch von mir. Es gibt Momente da geht es mit mir durch, das Über-Ich.) Stattdessen versuche ich mir Rückmeldung aus dieser anderen Welt zu holen. Das blubbernde heiße Wasser Internet mit dem kühlen, gleichmäßigen Strom von draußen zu mischen. Und wenn mir dann etwas einfällt, dann geb ich auch meinen Senf dazu. Es ist ein durchaus anstrengendes Experiment. Weil dieser Blick nach draußen zwei Dinge offenbart: Meine Filterbubble ist grundsätzlich progressiver und liberaler als die Außenwelt und die Außenwelt findet schnell die Schwierigkeiten, die progressive Ansichten in der praktischen Umsetzung bieten können. To be continued. (womöglich)
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Vaticinium ex eventu

Update, weil Leserfeedbackdingsi (toll!): Die Kirche ist, zumindest an ihrer Spitze frauenfeindlich, homophob und korrupt - da beißt keine Maus gar nie keinen Faden nicht ab. Sie ist aber auch der Pfarrer meiner Kindheit, der während der Sommerferien zweimal die Woche Freizeitnachmittage mit Hüpfburg im Pfarrgarten organisierte. Direkt neben dem Friedhof, natürlich. Ich bin nicht besonders gläubig und wünschte mir, es gäbe eine wohltätige Alternative für all die Hilfen. Worum es mir geht, ist der aktuelle Trend die Kirche insgesamt zu, haha, verteufeln. Dies hier ist ein Knoten in unser aller Taschentuch, dass Kirchen bei allen Fehlern eben nicht nutzlos und überflüssig sind. Nicht stand heute. "Ach wissn's, dees mit dem Weltuntergang is mia eher wurscht. Wei, da Mühlhiasl hod scho gsogt, dass da Rest voh da Weyd amoi brennt, aber die Jungfrau Maria hoit ihrn Mantl schützend übers Bayernland. Und a weng is ja so." (Besagter Mühlhiasl ist eine Art bajuwarischer Nostradamus, fällt aber für viele hier nicht so unter Esoterikl. Weil, dees war ja der Mühlhiasl.) [caption id="attachment_3598" align="aligncenter" width="500"]Zufälliges Symbolbild mit mittlerer persönlicher Bedeutung für die Autorin Zufälliges Symbolbild mit mittlerer persönlicher Bedeutung für die Autorin[/caption] Sie müssen wissen, die Kirche ist auch bloß ein Unternehmen. Nur mit ganz viel Folklore. Da regt es sich gleich viel differenzierter auf. Verstehen sie mich nicht falsch: Ein elendiger, grausiger Verein. Aber auch Teil fast aller Traditionen und Rituale im ländlichen Raum. Besonders natürlich im bayerischen, ländlichen Raum. Da wird ordentlich geheiratet und beerdigt, der Ethik-Unterricht kann nur nachmittags stattfinden und wer Taufpate oder Bücherreimitglied werden will, sollte der Kirche an und für sich wenigstens nicht feindlich gesinnt sein. Natürlich gibt es keinen vernünftigen Grund Mitglied der katholischen Kirche zu sein. Es gibt auch keinen vernünftigen Grund bei H&M von Kinderhand genähte Lady Gaga-Shirts zu kaufen. Und es gibt auch keinen vernünftigen Grund sich jedes Jahr das neueste in stickigen Fabriken zusammengebaute Ding mit angebissenem Apfel drauf zu kaufen. Wir alle führen ein moralisches Soll und Haben - Konto, wo wir den Konsum von Nespresso-Kapseln und billigen Jeans mit dem Fair-Trade Müsli und dem Flattr-Beitrag für Amnesty ausgleichen. That's how this whole thing works. Die katholische Kirche ist letztendlich auch zu groß und zu present in unser aller Leben, als das wir uns einfach nur darüber aufregen könnten. Also ohne das größere Bild zu sehen. Wenn wir über die Kirche schimpfen, verurteilen wir ein bisschen auch alle, die im Namen dieser Organisation arbeiten. Die Asyl gewähren und Suppenküchen leiten. Die ausbildende Schulen für viele soziale Berufe finanzieren. Und diese Sozialarbeiter später beschäftigen. Die diskutieren und zuhören, selbst wenn man offen zugibt nicht besonders gläubig zu sein. Ich habe viele meiner interessantesten Gespräche mit Menschen der Kirche geführt und bin dankbar dafür. Einige von ihnen haben sogar wirklich Humor. Auch die, die sich tatsächlich mit viel Elan um junge Menschen kümmern. Schließlich gibt es auf dem Land für junge Leute nur 4 Varianten durch die Adoleszenz zu kommen. Sport (Leichtathletik, Fußball), Tradition ( Trachtenverein, Schützenverein, Feuerwehr, Blasmusik), Rebellion (Schachclub, die Grünen, Kunst) und die Kirche (Ministranten, Chor). Das ist aus Nerd-Perspektive natürlich ein Albtraum, keine Frage. Aber wir sind nicht die Mehrheit. Und wenn wir verteidigen, dass unsere digitalen Kontakte echt sind, dann müssen wir anderen Teilen der Gesellschaft auch ihre Kontakt-Varianten zugestehen. (Außerdem gehen ohne alle aufgezählen Institutionen das bayerische Brauereiwesen den Bach runter und das kann niemand wollen.) Und ich weiß was jetzt kommt. Höhö, besonders kleine Jungs, höhö. Nur: Für missbrauchende Priester würde ich jederzeit wieder die Steinigung einführen. Wie die Kirche mit diesen Leuten umgeht ist zutiefst verwerflich. Und Dörfer, die sich hinter einen solchen Priester stellen sind die Blaupause des Phänomens Victim-Blaming. Das komplette Verhaltensmuster ist ja kein exklusives Kirchenverhalten. Ähnlich wie Homophobie wird hier die Religion fälschlicherweise vorgeschoben - ein ganz mieser Move der katholischen PR-Abteilung. Und es gibt viele Mitarbeiter, die das wissen. Having said that... ...es sind auch Angestellte der Kirche, die sich diesen Opfern annehmen. Die oft überraschend engagiert für die Verständigung zwischen Religionen eintreten. Wie dem Islam, wo wir, liberal wie wir sind, nicht sagen "im Namen deiner Religion sind Terroristen unterwegs - wie kannst du nur?!". Wir erkennen den Unterschied zwischen einer Religion, deren Religionsgemeinschaft und den Fanatikern, die ersteres als lahme Ausrede nutzen. Analog dazu (haha, analog) könnten wir einem von Holzköpfen geführten Krankenhaus, das einer jungen Frau medizinische Hilfe verwehrt, zurecht vorwerfen, dass es das Prinzip der Christlichkeit nicht verstanden hat. Wir könnten die katholische Kirche als das vielschichtige Unternehmen begreifen, das sie ist. Stattdessen hat "das Internet" (I KNOW) beschlossen, dass es effizienter ist, eine Organisation ohne die große Teile unserer sozialen Auffangnetzes zusammenbrechen würden, grob zu beschimpfen. Ja, das hilft immer. Mal ganz abgesehen von der damit einhergehenden Intoleranz gegenüber gläubigen Menschen. Deren Heimat, deren Gemeinschaft wird gleich mal by proxy schlecht gemacht. Bitte, wer weder gläubig ist, noch irgendeinen der angebotenen Services in Anspruch nehmen will soll gern austreten. Darum gibt es diese Möglichkeit. Die Kirchensteuer? Ist eine Steuer und unterstützt damit wie alle anderen Steuern eine absurde Mischung aus essentiellen Hilfen und abscheulichen Menschen. Dieses Geld fließt in derart viel Richtungen, dass einem beim Aufzählen erst auffallen würde, wo die Kirche überall ist. Dass wir also um sie nur schlecht herum kommen. Dass es ohne Kirche auch kaum noch erhaltene KircheN geben würde (Hallo, Frau Kunstgeschichtsstudentin!). Dass viele ältere Menschen ohne Kirche kein soziales Netzwerk mehr haben. Die twittern nämlich nicht. Aber, bevor das jetzt ausartet noch eine Bitte: Erzählen Sie von diesem Text niemandem da draußen. Man würde sich Sorgen um meine geistige Gesundheit machen. Als würde ich jemals öffentlich ein gutes Haar an der katholischen Kirche lassen!