Allgemein

Pendeln

Fensterln. Momentan sitze ich viel in Zügen. Pendlerzügen, vom Land in die Stadt. Da sitzen um mich herum sehr viele, sehr junge Menschen. Sie sind spät unterwegs, weil sie die verbleibende helle Stunde nach dem Ende des gymnasialen Schultags noch im Schnellrestaurant verbracht haben. Oder lange Berufsschule hatten. Der Lehrbetrieb in der Stadt ist und sie noch daheim im Kinderzimmer wohnen. Sich entzweien zwischen Verpflichtungen in der Stadt und Wurzeln auf dem Land. Während ich in mein Buch schaue, oder natürlich ins Wischtelefon starre, komme ich nicht umhin ihren Gesprächen zuzuhören. Den üblichen Lästereien über die anderen. Der Panik wegen Hausaufgaben und Partys. Den "ich war so betrunken, dass.."- Sätzen. Dass diese Dinge immer gleich bleiben, überrascht nicht weiter. Was mich überrascht, ist wie gleich auch die anderen Dinge bleiben. Mädchen gehen einkaufen und backen, Jungs spielen Fußball und zocken Playstation. Ist das hier 2013? Einerseits stehen sie für ältere Leute auf und helfen Kinderwägen aus dem Zug manövrieren, andererseits machen sie immer noch Schwulenwitze und klingen nicht so, als hätte der Feminismus entscheidende Schritte getan. In mir brodelt es dann immer so ein bisschen. (Apropos ganz was anderes: sagt man da jetzt brodert? Ist das schon ein Verb? Ich verliere vollkommen den Überblick.) Dorfkindheit in allen Ehren, aber diese Kids (Ich habe gerade 'Kids' geschrieben. Huch, übers neue Jahr alt geworden.), haben doch auch mehr als alle Generationen vor ihnen Zugang zu frischem Gedankengut. Das ist also diese Filterbubble, denke ich und hinter mir kichert eine Mädchengruppe über das Facebookstatus-Update einer nicht anwesenden. Facebook, Google, Amazon. Die Filterblase dieser kaum 20jährigen Menschen ist bemerkenswert klein. Dann sitze ich da, schaue aus dem Fenster und frage mich, wie man das überwinden könnte. Vor dem Fenster rauscht ein fönbedingtes Bergpanorama vorbei. Mei, sovui schee. Eine fucking Idylle. Könnte ich mich in diesem Augenblick sofort in mein Wunschleben verpflanzen lassen, es fände gar nicht mal unbedingt in der Stadt statt. Es gäbe perfekte Zuganbindungen, natürlich und DSL-Werte aus der Zukunft. Aber es hätte vermutlich einen Ausblick auf denn Inn und nicht die Isar, den Marktplatz einer kleinen Altstadt und nicht des Viktualienmarktes. Mein ich von vor 10 Jahren wäre stocksauer und würde 'Frühvergreisung!' brüllen, aber so ist es jetzt grade eben. Das ist mein Anknüpfungspunkt zum Leben dieser jungen Menschen. Die planen gar nicht unbedingt die Landflucht. Nicht aus Bayern, wo es auch auf dem Land Ausbildungsstellen und noch Bauland gibt. Bis mitte 20 sind die selbst im Verein und keine 10 Jahre später melden sie ihre Kinder an. Der Lauf der Dinge. Jedenfalls, Filterblasen. Ich überlege woher diese jungen Menschen ihre Informationen bekommen. Sie haben keine Twitter-Accounts mit denen sie breaking news von BBC folgen. Aber um 20:00 Uhr Tagesschau - auch unwahrscheinlich. Natürlich gibt es auch unter ihnen die Nerds, die Exoten. So wie ich einer war. Technikbegeistert, popkulturaffin und verzweifelt, weil ein Leben ohne all die Konsum- und Kulturmöglichkeiten der Stadt so sinnlos erschien. Die wird es immer geben. Sie machen Abitur und dann ab durch die Mitte. Zum Studium am besten nach Berlin oder gleich ins Ausland und sie wählen die Grünen und wollen die Welt verändern. Ein paar machen es dann auch so. Der Rest kommt irgendwann zurück und gründet eine Familie, weil die Kinder doch bitte auch auf dem Land aufwachsen sollen und wenn man in Miesbach die Grünen oder gar die Piraten wählt, ist man Revoluzzer genug. Holz mit Aussage Lehrer müssten zwangsweise SocialMedia lernen und überhaupt gehören die Schratzen eher und dramatischer mit für sie exotischen Lebensentwürfen konfrontiert. Wie soll denn sonst eine Gesellschaft voran kommen? Oder? Dann frage ich mich, wie wichtig es ist, dass mein Bäcker oder Metzger, mein Installateur oder Zimmerer sich politisch korrekt ausdrücken. Ob ihr leichtes Hinterherhinken in Sachen Toleranz, und es ist wirklich nur ein Hinken - sie kommen am Ende nicht drumrum - der Preis ist, denn ich dafür zahle, dass es sie gibt. Und ob es tatsächlich diese Menschen sind, die besonders viel Schaden anrichten. Ja, sie wählen die CSU und hadern damit, ob homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen sollen. Nur, wenn ihnen ein solches Paar begegnet, wenn sich jemand in Ihrer Umgebung als Vegetarier outet - dann ändert das genau gar nichts an ihrem Verhalten ihnen gegenüber. Weil, politisch konservativ kann man sein, aber desweng is ma no ned unfreindlich zu de Leid. Ein verwirrendes Verhalten. Die Mädchen hinter mir betreiben währenddessen astreines Slut-Shaming. Zwei junge Herren weiter vorne versuchen mit physikalischen Kenntnissen das Tor von Zlatan Ibrahimovic zu erklären. Ich gucke in mein Wischtelefon, wo andere 17jährige in meiner Twitter-Timeline ihren Hormonen dank amerikanischer Fernsehserien, Tumblr und homoerotischer Fanfiction fröhnen. Die gibt es ja eben auch. Sie sind aufgeklärt und interessiert, aber sie hassen auch das Land auf dem sie heranwachsen. Das tun die Mädels hinter mir nicht. Sie finden München zu hektisch, in Rosenheim kann man ihrer Meinung nach besser einkaufen und der Latte Macchiato ist dort auch nicht besser als im Lieblingscafe der Heimatgemeinde, 3000 Einwohner. Der Zug hält, an einem Kaff das so klein ist, dass es nur eine Bedarfshaltestelle hat. Zwei der Mädchen steigen aus, sie verabreden sich zum Facebook-Chat nachher. Ich könnte mit einer ordentlichen zweidrittel-Wahrscheinlichkeit die nächsten 10, 15 Jahre ihres Lebens vorhersagen. Mit Anzahl der Kinder und dem Lieblingsurlaubsort an der Adria. Ich schaue wieder auf Twitter. Junge Frauen mit Avataren auf denen ihre Münder abgebildet sind, schreiben darüber, dass sie gern knutschen würden, aber keiner da ist. Die jungen Männer (Profil-Avatar) kommen gerade aus der Agentur. Hashtag #Feierabendbier. Einer der Zlatan-Jungs vorne sagt, dass sich darauf freut später mit seinem Sohn in die Allianz Arena zu gehen. Er denkt gar nicht darüber nach. Familie gründen, Kinder bekommen, Haus bauen. Sie haben keine Ahnung wer Kristina Schröder ist, es ist ihnen auch komplett egal. Sie machen Schwulenwitze, so lange, bis sich einer der Kumpels outet. Der Zug hält und ich steige mit einem der Jungs aus. Seine Mutter war gerade noch beim Kramer und holt ihn am Rückweg ab. Sagt zu ihm, dass er der Oma noch Holz reintragen soll, dann ist auch noch was vom Braten da. Meine Twitter-Timeline guckt Darts. Ich gehe nach Hause.
Allgemein

obligatorischer Jahresendeintrag

[caption id="attachment_3546" align="aligncenter" width="650"]Willkommensgruß vor einer Münchner Wohnungstür. Wo sonst. Willkommensgruß vor einer Münchner Wohnungstür. Wo sonst. [/caption] In der Pubertät sagt man, rennt die körperliche Entwicklung dem Kopf voraus, der noch damit beschäftigt ist den vorderen Hirnlappen fertig auszubilden. Ich glaube 2012 war das erste Jahr, indem der Kopf wieder den Anschluss gefunden, vielleicht sogar die Projektleitung übernommen hat. Das hängt auch damit zusammen, dass ich als gelernte Sozialphobikerin das komplette Internet zu meiner Therapiegruppe gemacht habe. Sehr schön geholfen hat das an meinem Geburtstag. (Eigentlich können sie hier aufhören zu lesen und einfach nochmal die Kommentare studieren, sehr viel klüger wird es in diesem Blog nicht mehr.) Überhaupt war dieses Internet, waren diese Menschen sehr gut zu mir. Das hilft, wenn das Leben komische Wellenbewegungen macht und man sich weniger als Kapitän sondern mehr wie Strandgut vorkommt. Für mich persönlich hat 2012 ganz am Ende die Kurve gekriegt. Things are looking up. Und mein Thema, meine Sache hab ich auch gefunden. Social Media ist weniger geworden, mein Facebook-Account liegt im Wachkoma, Pinterest und Gomiso wurden gekickt, mein Heimathafen ist Twitter und dieses kleinge Dings hier. Nächstes Jahr mit mehr Bildern und mehr Einträgen - jetzt, wo ich tatsächlich Leser habe, so im messbaren Bereich. Und sonst so, 2012? Naja. Da ist Steigerungspotential. 2013? Was will ich eigentlich von 2013? three crosses Viele viele Jahre wollte ich so werden wie die anderen, die coolen Kids. Regelmäßige soziale Kontakte, regelmäßige Arbeitszeiten, Geld ausgeben für Technik und Reisen. 2012 hab ich gelernt, dass mich das nicht glücklich macht. Dass ich meine Energie anders verwalten muss. Der ewige innere Kampf eines Introvertieren gegen die Konvention eben. Während man darüber im Internet sehr gut sprechen kann, sind andere Dinge schwieriger. Ich bin, und das hat was von einem Outing, ziemlich konservativ. Nicht politisch, glaub ich (wobei ich zum jetzigen Zeitpunkt gern überhaupt ungern irgendwie politisch bin, weil mich dieses Thema so sehr ermüdet wie noch nie.), sondern so lebenstechnisch. Das hat viel mit Stadt und Land, mit Tempo und Verständnis für Lebensentwürfe zu tun, die total analog und traditionell ablaufen und Menschen nicht mehr oder weniger unglücklich werden lassen. Aber, das würde jetzt zu weit führen. Es geht darum, dass ich mehr als zu irgendeinem Zeitpunkt weiß welche Faktoren mich in Entscheidungen beeinflussen und woher sie eigentlich stammen. Darum tue ich neuerdings sehr bewusst hauptsächlich Dinge, die mir Spaß machen. Nicht, die ich machten sollte, um normal zu wirken. Das alles hat damit angefangen, dass ich wieder lese. Und dann haben andere auch darüber geschrieben und ich habe angefangen Verhaltensweisen auszusortieren von denen ich dachte, dass ich sie zu haben hätte. So als aufgeklärte, feministische junge Frau. Mei schaun's, jetzt bin i ins Ratschn kema, I wuid doch über 2013 schreym. Kramerladen Wasserburg Zum Beispiel was dieses kleine Blogdings angeht. Zu meiner Überraschung gibt es eine gewisse Nische was die Beschreibung süddeutscher Eigenheiten angeht, die nicht von Leuten stammen die sich nebenher selbst auf die Schulter klopfen weil sie das alles hinter sich gelassen haben. Ich bin zwar in keinem Verein und mein Dirndldrahn lässt zu wünschen über, aber ich war eben bis dato nur auf Hochzeiten mit >200 Gästen und Zuchttieren als Geschenken und ich stehe Allerheiligen noch am Grab und kenne die Marktfrau, von der ich meine Lieblingsmarmelade (Melone-Birne!) bekomme und ich mag das. Das ist wohl dieses konservativ, von dem ich sprach. Und ich bin auch immer wieder fasziniert von der Toleranz die eben doch herrscht. Manchmal mehr als bei meiner geliebten Peergroup der Online-Sonderlinge. Darum ist mein einziger Vorsatz, wenn man so will, mich wieder mehr damit zu beschäftigen. Auf Dinge zu schaun und nicht immer alles so selbstverständlich zu finden. Nein, das wird hier kein Blog durch das bayerisch-katholische-Brauchtumsjahr, aber dem Fakt, dass die Mehrheit der Menschheit eben nicht in Berlin, Hamburg, Köln oder München lebt sollte auch online mehr Beachtung geschenkt werden. Außerdem ist gerade hier in Südostoberbayern alles so irrsinnig pittoresk und vielleicht können wir kitschige Altstadtfassaden mal als Konkurrenz zu Katzenbildern testen. (Oder ich fotografiere einfach ein paar der umliegenden Klosterkirchen und lasse mir von Frau Gröner erklären, was es damit auf sich hat.) Ein Epos lebt nicht zuletzt auch von den Details. (Das Internet! Ich meine das GESAMTE INTERNET! Nicht mein kleines Blogdings hier. Also wirklich.) Tatsächlich hoffe ich den Blog regelmäßiger befüllen zu können, auch wenn das nächste Jahr ziemlich sicher noch voller wird als das letzte. Und da sind freiwillige soziale Kontakte noch nicht mitgezählt. Trotzdem. Es muss doch geschrieben werden. Wer einmal damit angefangen hat, merkt erst wie unausweichlich diese Dinge sind. Auch das offline Schreiben darf bitte noch mehr werden. Lumpige 40 Seiten aus dem NaNoWriMo sind nach einer ersten Korrekturrunde geblieben, aber fertig werden soll diese Geschichte doch. Muss ja, nee, eben. Ich merke gerade wie typisch 2012 dieser Eintrag hier wird. Unzusammenhängend, aber gut gemeint. Mir ist auch völlig klar, dass aus mir keiner dieser gewitzten Profiblogger mit hübschen Bildern und kleinen Anekdoten wird. Manchmal bin ich sauer und manchmal hab ich was zu erzählen und oft reg ich mich über frauenfeindlichen Dreck auf - das war es dann auch fast schon. Gut, Fußball. Aber als Bayern-Fan ist man nicht absonderlich genug, um im Internet als cool zu gelten. Daran wird sich auch 2013 nichts ändern. Aber wissen sie was? Jetzt ist es mir egal. Namen und Bezeichnungen und Schubladen und Real Life vs Digitales und die Erwartungen und das Hetzen - es könnte mir nicht mehr egaler sein. Es gibt keinen Weg, kein Rezept, keine Anleitung zum Glücklichsein. Es gibt nur die Akzeptanz dessen, was jetzt ist und viele kleine Schritte die es besser oder schlechter machen können. 2013 ist mir jetzt schon vollkommen egal. Ich habe die Erwartungen nicht bloß weggeräumt oder in Schubladen versteckt, ich habe sie verbrannt und die Asche weggefegt. Dann hab ich die Fenster aufgerissen und jetzt kann frische Luft herein und wenn sie Überraschungen mitbringt, biet ich denen was zu trinken an. Prost Neujahr! Liebste Blogleser der Welt: es war mir eine Freude. See you on the other side. Weihnachtsmarkt Wasserburg 2012
listendings

Twittersternchen Dezember 2012

Ich glaube ja, wir mögen alle, dass das Jahr so zuverlässig und vorhersehbar mit den gleichen Feiertagen und Katastrophen und all der Verwirrung und dem Ärger über Böller und dem vielen Essen und seltsamer Familie zu Ende geht. Wenn man darauf achtet, merkt man wie viel Leute ende Dezember sterben. Das nehmen sie noch mit, dafür kratzen sie die Kraft zusammen. Und dann ist auch gut, mit 2012. Und überhaupt. https://twitter.com/ColeyTangerina/status/276112878900215809 (mehr …)