*The one where the drugs don’t work
Vermutlich ist das der letzte Cidre für das Jahr in meinem Glas gerade, es ist um kurz nach 8 vollständig dunkel, die Duftkerze hier ist „Matcha Truffel“ und die Hot Summer Girls ändern das Hashtag zu Demon Autumn Witch. Ich sitze im frisch umgestylten Schlafzimmer/Home-Office, wo nicht länger eine Wand Bordeaux-Violett und die andere Sand ist, sondern alles Cinder Rose mit einem Streifen in Anthrazit als quasi Abbinder. Keine Schlafhöhle mit offener, etwas wirrer Schrankkonstruktion (der neue Kleiderschrank kommt demnächst, schlicht, hell.), sondern ein Raum, der das ganze Licht, das reinkommt auch zulässt. Wenn schon Metapher, dann richtig.
Der Schreibtisch ist nicht mehr in der Ecke, sondern in der Mitte, direkt vor dem großen Fenster mit Blick auf den Inn. Es fühlt sich schon jetzt anders an, mit Raum links und rechts von mir, nicht mehr als Notlösung, wie beim Einrichten vor 8 Jahren, als ich nicht wirklich darauf spekulieren konnte, dass ich eines Tages fast ausschließlich von hier arbeiten würde. So gut ich es gefunden hätte, damals schon, so richtig war es, dass dieser Abschnitt, diese Abzweigung in der Karriere erst nach diesem Sommer startet. Also mal abgesehen von Pandemie-Hochphasen als alle anderen auch unter Dachschrägen, im Keller, unter dem Hochbett im Kinderzimmer oder im Wintergarten gearbeitet habe
Erst mussten ein paar letzte Dinge geheilt, geklärt, verfestigt werden. Erst musste ich vollständig verarbeiten, dass es Menschen gibt, besondere, kluge, offene, witzige Menschen, die mir Zeit und Aufmerksamkeit schenken, ohne, dass ich mich zurücknehmen oder darum betteln muss. Nicht froh sein, dass ich „dabei“ sein darf, sondern explizit der Grund bin, um etwas zu verabreden, in die Wege zu leiten. Gerade jetzt, während die digitalen Netze noch fragiler werden, weil manche den Moment zum Social Media Exit nutzen, andere ihr Glück im baugleichen Start-up ohne Business Plan suchen (sorry Bluesky, aber ich hab zu viel gesehen, um nochmal in eine genauso instabil konzipierte Achterbahn zu steigen. Wenn der Invite-Only Honeymoon vorbei ist, wenn Geld und Aufmerksamkeit hermüssen und die Trolls kommen, erklärt mir gern nochmal wie super es ist.) und ein letzter Teil sich in ganz andere Systeme flüchten. In Discords und TikToks und Whatsapp und Instagram oder wasweißich, ich bin bei den Nerds.
Jetzt habe ich den Faden verloren, weil es geht ja genau nicht um die digitalen Verbindungen, sondern um die, mit denen man ins Kino und zu Cocktails, zum Essen oder Spazieren geht. Mit denen man feiert. Es geht, so schwer es ist, das zu formulieren, um die Nachhaltigkeit des Serotonins aus dem direkten Kontakt, das vorhält, wenn die Bubble, die einem sonst das Home Office erleichtert hat, in alle Richtungen zerstoben ist.
Es gibt nicht die Vokabeln, zumindest kenne ich sie nicht, die nachdrücklich genug sind, um auszudrücken, wie konsequent und tief mein Glaswand-Gefühl zum Rest der Welt immer schon wahr. Selbst wenn man dann endlich einen Begriff, eine Diagnose dafür bekommt, ändert das ja nur bedingt etwas an der Befindlichkeit. Es bestätigt und erklärt und gibt einem zumindest manchmal ein Werkzeug, um anderen klarzumachen, warum man so ist, so kommuniziert. Warum man weiter ausholt als vielleicht notwendig, andererseits aber auch so klar und deutlich, dass sich mancher vor den Kopf gestoßen fühlt. Warum man auf das direkte Feedback, auf die Ehrlichkeit des Gegenübers so angewiesen ist, wie andere vielleicht auf eine Brille oder ein Hörgerät.
Weil Symmetrie so schön ist: Am Ende dieses Sommers steht auch wieder eine von diesen gegenteiligen Episoden. Von einer Umarmung, die die letzte war, obwohl ich es nicht wusste, weil eben diese Ehrlichkeit zu viel verlangt war. Weil stattdessen Zeit und Aufmerksamkeit in Aussicht gestellt wurden, ohne so gemeint zu sein. Weil, trotz full disclosure meinerseits, meine Bedürfnisse souverän wegignoriert wurden. Weil Jahre mit Gesprächen, Momenten und Verbindung sich für manche über einen Sommer hinweg offensichtlich in eine Nichtigkeit verwandeln können. In etwas, so egal, dass der Mensch auf der anderen Seite kein wahres Wort mehr wert ist, man sich dazu zumindest nicht überwinden kann. (Über mein Beuteschema hinsichtlich Menschen, die sich so lange tiefschürfend und empathisch geben, bis Authentizität gegenüber einer verletzlichen Person notwendig wäre, denke ich schon nach, keine Sorge.)
Aber: Mein ich vor ein paar Jahren hätte das gebrochen, unabhängig davon, wie wichtig oder substanziell die Freundschaft gewesen ist, es hätte mich zerrissen und alles grundsätzlich in Frage gestellt. Jetzt steh ich einfach da, mit dieser unendlichen Fragilität menschlicher Bindungen und einem Hirn, das belastbare Daten, verlässliche Zusagen und bekannte Rahmenbedingungen braucht, um nicht komplett zu eskalieren. Jemand legt keinen Wert auf meine Freundschaft – okay, schade, aber kommt vor. Ich erfahre das nicht, sondern muss es mir auf Basis eines Zeitraums ohne Kommunikation zusammenreimen? Error 404. Eigentlich 503, aber das ist ein Insider denke ich. I don’t know how the neurotypicals do it.
Beim Blick zurück auf den Sommer, auf so viele unglaublich schöne Begegnungen, Lachen, Sicherheit, wirft es einen Schatten. Weil was davon war echt? Wenn ich bei einer Person nicht kommen sehe, dass sie keinen Kontakt mehr möchte, wer ist dann der nächste, wessen Zuneigung ist resilient und vor allem – welche ist tief genug, dass ich einen Abschied bekäme? Ehrlicherweise muss man an der Stelle sagen: das oben beschriebene Ghosting? Natürlich Geschlecht, das sich selbst gern reden hört, ohne über die eigenen Gefühle sprechen zu wollen. Die beflügelnden Momente: in großer Mehrheit weiblich. Und in noch größerer Mehrheit: Menschen, die selbst genug erlebt haben, mit sich selbst so weit sind, dass sie mit anderen nicht einfach beiläufig umgehen.
Aber kann das mein Lackmustest sein für die Zukunft? Hallo, bist du traumatisiert und therapiert genug, dass ich dir vertrauen kann, oder bist du weg und still, sobald es konkret wird? Midlife Crisis schon durch, noch vor dir oder mitten drin? Daddy Issues, Mummy Issues oder Mann mit Podcast? Sich präventiv erklären verschreckt die Leute nur, das hab ich gelernt. Hi, ich bin clever, witzig, loyal und sehr gut in Krisenzeiten, aber wenn du mich anschweigst, anstatt mir zu antworten, zünde ich vermutlich etwas an. Es wird einem entweder nicht geglaubt oder erklärt, dass man Verständnis für Leute haben sollte. Wo ist mein Verständnis, wo ist die Inklusion, hm, HM?
Entsprechend verschwommen ist der Blick nach vorn. Ja, die Basis ist besser, viele von den alten Narben sind geheilt, aber in den oberen Stockwerken bröckelt es. Die Frühstücksbegleitung ist in die Wildnis gezogen, die digitale Bubble hat keinen gemeinsamen Pausenhof mehr und meine nun konsequente Homeoffice-Existenz birgt auch die Gefahr der allzu heimeligen Isolation. Seit über 20 Jahren finde ich „meine“ Menschen entweder im Büro oder im Internet und als Mensch, der Smalltalk nicht begreift und lieber gleich zum interessanten Teil (obsessive Leidenschaften, komplexe Meinungen, Trauma in Form von humoristischen Anekdoten) kommt, findet man auch da nur genug Zeit dafür.
Ich bin unendlich dankbar für diesen Sommer, für diese Menschen. Die Wärme wird mich mindestens durch den Herbst und Winter bringen. Vielleicht, mit etwas Glück, ist es auch genug Energie, um hin und wieder die Hand auszustrecken, in der Hoffnung, dass jemand ein Stück Weg mitgehen will. (Also nicht nur, wenn Taylor Swift wieder irgendetwas tut, das man sich ansehen oder worüber man reden kann. Nein, ich lerne jetzt nichts über Football, es hat alles Grenzen.)
Während der Pandemie dachte ich, wenn die Einschränkungen vorbei sind, aber dann. Sex, Drugs, Rock’n’Roll. Sagen wir so: Für Afterpartys fehlt mir die Beinarbeit, Dating-Apps sind auch ohne romantische Ambitionen ein Weg in die Depression und nach ersten zarten Versuchen bestätigt sich, dass meine Konstitution auch gegenüber mikrodosierten Dingen (zumindest in der legalen 1D-Variante) komplette Ignoranz zeigt. Aber hier laufen die Tests noch.
Aber mal was anderes, jemand Interesse an einem virtuellen boozy Bookclub? Ich sehe mich mehr mit Rotwein über Smut sprechen, als beim Trommelkreis auf LSD.
7
Ein Blick auf den Inn Bringt es.
Die Wand erinnert mich daran, wie eine meiner Großtanten von ihrem ersten (und einzigen) Ball schwärmte, bei dem sie ein Kleid in der wohl damals angesagten Farbe „Cendre des Roses“ getragen hatte. Das muss ungefähr der Farbton gewesen sein.