Perspektive

Meistens nehmen wir denselben Zug nach Hause. Manchmal, wenn ich morgens den Bus zum Zug nehme, ist sie auch drin. Aber nicht immer. Ihr Alter ist schwer zu schätzen, aber ihre Haare sind schon vollkommen weiß. Aber sie ist keine alte Frau, sie fährt in der Früh auch in die Stadt zu einem Job. Sie wohnt nur ein paar Häuser weiter, in der kleinen Altstadt in der kleinen Stadt am Fluss.

Am Wochenende sehe ich sie manchmal auf meiner Standard-Route von der Drogerie über den Markt zum Cafe wo ich mir einen Cappucchino hole. Sie sitzt hin und wieder am Samstag auch im Cafe, trinkt Kaffee und isst ein Croissant. Immer sehe ich sie allein.

Und ein bisschen macht mir das Angst.

Womöglich hat das auch mit ihrem Gesicht zu tun. Sie hat hängende Mundwinkel und ich kann mich nicht erinnern sie schon einmal lächeln gesehen zu haben. Vielleicht hat das alles einen guten Grund. Vielleicht ist sie jetzt viel freier als früher in ihrem Leben, mag ihre Unabhängigkeit und das Alleinsein. So wie ich momentan.

Oder, es ist einfach so gekommen. Es fand sich nie eine Person zum gemeinsam im Café sitzen und Croissant essen. Oder die Person war da und ist es nicht mehr. Sie wollte auch gar keine Familie oder sie hat eine und die Kinder sind weit weg gezogen. Es kann sogar sein, dass sie in der Stadt den ganzen Tag mit Menschen zu tun hat und redet und lacht und dann Zuhause einfach keine Energie mehr dafür da ist. Ich weiß es ja nicht.

Nur, an schlechten Tagen, wirkt sie auf mich wie eine unheilvolle Zukunftsvision.

Nicht mehr ganz jung und immer allein und immer dieselbe Routine mit dem Job während der Woche und Solo-Streifzügen am Wochenende. Ob sie allein ins Kino geht? Vermutlich.

Ich bin nicht unbedingt allein, nicht wirklich. Mit ein bisschen Glück müsste ich, wenn ich nicht mehr jung wäre, nur meine Koffer packen und fände irgendwo da Anschluss, wo ich ihn jetzt schon habe, nur halt weiter weg.

Ein bisschen frage ich mich, ob ihr regelmäßiger Anblick auch hilft, dass ich plötzlich größere Veränderungen ins Auge fasse. Noch nicht auf die Dauer (ich mag doch die kleine Stadt am Fluss so gern), aber kleine Fluchten, temporäre Klima-Veränderungen. Eine spezialisierte Gun for hire. Have Know How, will travel.

Mal sehen, alles noch sehr spekulativ.

Ob ich ihr mal Hallo sagen sollte? Aber das fände sie sicher sehr seltsam. Ich stehe auch nur immer so schweigend rum, mit den Kopfhörern, wenn ich auf den Bus warte. (Jetzt muss ich an Marie denken. Es ist kompliziert.)

Vielleicht erlebe ich aber einfach nur eine fundamentale, komplett ordinäre menschliche Erfahrung bei der wir uns alle mit denen Vergleichen die entweder denselben oder einen komplett anderen Weg gegangen sind. Hätte Wäre Wenn.

I was walking down 57th street towards Park
With the same old song in my same old heart
Making plans I’m gonna do when I get older
Passed a gray-haired man and I found his eyes
It’s like he knew my thoughts and he read my mind
Saying life is gonna find you when it’s supposed to
Felt my feet stop short and I turned my head
Tried to lean into every word he said, then he said

When you are younger, you’ll wish you’re older
Then when you’re older, you’ll wish for time to turn around
Don’t let your wonder turn into closure
When you get older, when you get older

(Older; Ben Platt)

Fragen 701-725

701. Wie zufrieden bist du mit deinem Körper? 

Falscher Tag für diese Frage, ganz falscher Tag.

702. Wenn du für eine Wand in deiner Wohnung eine Farbe aussuchen solltest: Für welche Farbe würdest du dich entscheiden? 

Nachdem ich schon ein meeriges Blaugrün (Wohnzimer), ein verruchtes Aubergine (Schlafzimmer) und einen Gang komplett in Cupcake-Türkis mein eigen nenne…. Ich glaube ich fände ein schmutziges Oliv ganz spannend. Mit Holzmöbeln dazu und vielleicht einer Lampe oder einem Sessel in Senfgelb. (Semftgeyb.)

703. Was hast du gestern Schönes getan? 

Oy vey. Aber manchmal ist es ja auch ganz schön, sich die Augen aus dem Kopf zu heulen, nech?

704. Was machst du, wenn dir etwas nicht gelingt?

Ärgern. Analysieren. Dinge werfen, Universum anklagen, nochmal versuchen. 

705. Was ist das Unheimlichste, das du jemals getan hast? 

Im Sinne von…gruselig? Das kann ich nicht einschätzen, weil für mich ist es dann ja nicht unheimlich. Aber ich beobachte mich gern dabei wie ich zu Vorhaben ja sage ohne den Hauch einer Ahnung zu haben wie ich das hinkriegen soll. Ist das scary genug?

706. Sind andere gern in deiner Nähe? 

Ich kann es mir nicht vorstellen. 

707. Was schwänzt du manchmal? 

So mit Zusagen und dann doch nicht kommen? Das hab ich mir abgewöhnt, dafür reagiere ich zu beleidigt, wenn es umgekehrt passiert.

708. Wann ist die Welt am schönsten? 

Aktuell denke ich, wenn man sie in Ruhe lässt.

709. Was hast du erst vor Kurzem herausgefunden? 

Dass der schmuddelige Typ von The Walking Dead nicht nur die schöne Frau Krüger sondern auch die noch schönere Frau Christensen irgendwie rumgekriegt hat. Und, dass Autismus auch heißen kann eine wilde Sehnsucht nach Dingen zu entwickeln, die man eigentlich nicht mag. (it’scomplicated)

710. Magst du Kostümpartys? 

Oh Gott, nein. Wer sind diese Menschen, die das gut finden?

711. Wie schnell weichst du vom vorgegebenen Pfad ab? 

Welcher vorgegebene Pfad?

712. Was ist das beste Gefühl der Welt? 

It took many years of vomiting up all the filth I’d been taught about myself, and half-believed, before I was able to walk on the earth as though I had a right to be here. (James Baldwin, thank you Billy Porter)

713. Was machst du meistens um drei Uhr nachmittags? 

Arbeiten. Naja, panisch mehr Zucker in meinen Milchkaffee kippen. 

714. Mit welcher berühmten Persönlichkeit würdest du dich sehr gut verstehen? 

Caitlin Moran seems extremely like my kind of woman. Und dann ist da noch Hannah Gadsby, aber vielleicht wäre ich vorlauter Bewunderung auch ganz seltsam.

715. Was würdest du servieren, käme die Königin von England zum Tee? 

Zum Tee? Also Kuchen? Nun, es gibt da diesen Gin Tonic Kuchen, der könnte….

716. Was kannst du einfach auf morgen verschieben?

Wenn sich niemand anderes darauf verlässt, dass ich es heute mache: ja. Also hauptsächlich den Haushalt.

717. Was macht ein Spaziergang durch die Natur mit dir? 

Naja, schon auch nett, dieses Draußen, irgendwie. Wenn auch feindselig. 

718. Welches Lied passt am besten zu deiner Beziehung? 

Haven’t met you yet von Michael Bublé, schätze ich.

719. Wie sieht deine ideale Welt aus? 

Langsamer, leerer, mehr Herbst. 

720. Was bedeutet für dich Geselligkeit? 

Uff. Mehr als ein Vierertisch, weniger als ein Bierzelt?

721. In welchem Beruf wärst du wahrscheinlich ebenfalls gut? 

Eine erschreckende Anzahl von Menschen bescheinigen mir, dass ich Anlagen für eine gute Assistentin/Sekretärin habe. Ich behaupte hingegen, ich könnte auch einen mittelständischen Betrieb leiten. Irgendwas mit Handwerk.

722. Was waren die liebsten Worte, die du jemals zu einer Person gesagt hast? 

„Dich mag ich viel mehr als ich normalerweise gewillt bin zuzugeben.“

723. Was von der Einrichtung deiner Wohnung hast du selbst gemacht? 

Die Truhe im Wohnzimmer hab ich selbst hergerichtet, den Messingtisch auch wieder auf Vordermann gebracht. So komplett selbstgemacht? Nein, das würde ich der Wohnung nicht antun. 

724. Wie würden dich Leute beschreiben, die dich zum ersten Mal sehen? 

„So á Festere, mit án Haufn Haar, richtige Lockn.“ Also, wurde mir kolportiert. 

725. Was würdest du mit einer zusätzlichen Stunde pro Tag anfangen? 

Theoretisch: Dinge erledigen, Freundschaften pflegen. Praktisch: Schlafen. 

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3 thoughts on “Perspektive

  1. Bei Menschen, die man nicht kennt, aber regelmäßig trifft: Einfach mal freundlich anlächeln, begrüßend zunicken. Irgendwann grüßen die Leute zurück und wenn sich die Gelegenheit ergibt, ergibt sich auch mitunter ein Gespräch (nix Wildes: Über das Wetter. Oder man schimpft gemeinsam über die Bahn oder so).

  2. Flusskiesel hat H.s Meinung nach recht, besonders in eurer schönen kleinen Stadt am stattlichen Fluss, wo man sich oft über den Weg läuft. Er ist gespannt …
    Und: „Semftgeyb“, welch wunderbares bayerisches Wort.

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