Meta-Medien-Millenials

Ursprünglich hatte ich gehofft, dass ich jetzt – fastzwei Wochen nach den Attentaten – ein bisschen geordnetere Gedanken hätte, aber das scheint nicht so zu sein. Das hier ist also mehr eine Fetzensammlung als ein kohärenter Gedankengang.

Die ersten Meldungen waren kaum verdaut, niemand hatte Fakten und in Paris lief noch ein Fußballspiel – aber Twitter debattierte bereits die Reaktion der Medien. Mich eingeschlossen. Was wollen wir jetzt wissen, wie soll es uns präsentiert werden, und ist es angebracht, dass da gerade ein Fußballkommentator nebenbei von Bomben spricht?

Die Situation surreal zu nennen, war fast untertrieben. Selten passierten so viele Dinge gleichzeitig in dieser absurden Geschwindigkeit. Für uns – die Social Media Meute – aber immer noch nicht schnell genug, so schien es.

Mittlerweile weiß ich, dass mein eigener Umgang mit den Geschehnissen online eine Art Strategie war. Der Weg meines Kopfes sich von den in Echtzeit passierenden Anschlägen einerseits zu distanzieren und doch dabei zu sein. Indem ich mir Gedanken darüber machte, wie die ARD die Zeit besser nutzen könnte.

Bescheuert, I know.

Aber es war nicht nur ich und vielleicht wird es Zeit raus zu zoomen.

Als Jahrgang 1985 darf ich mich angeblich noch grade so Millenial schimpfen. Also als Teil der Generation Y, die um die Jahrtausendwende Teenager waren. Wir gelten als verzogen und weich, politisch korrekt, verängstigt aber auch innovativ und hinterfragend. Wir glauben Politikern nicht, sondern gehen Vloggern auf den Leim. Wir haben ISDN noch kennengelernt und wissen, was sich hinter dem Sicherungs-Symbol in Microsoft Office verbirgt, weil wir noch Disketten benutzt haben.

Aber vor allem haben wir ein rares, fast schon absurd friedliches Jahrzehnt erlebt – die Neunziger.

Terror live

Der Golfkrieg war weit weg und zu abstrakt als das er uns Angst gemacht hätte und selbst die anhaltenden Unruhen auf dem Balkan wirkten, auch durch die Nachrichten, nicht nah genug. Der Begriff Terror hatte keine spezifische Bedeutung.

Es musste ein Flugzeug ins World Trade Center fliegen, damit der Boden unter unseren Füßen wackelte. Nicht zuletzt, weil wir live zusehen konnten. Es haben klügere Menschen als ich versucht die völlig veränderte Wahrnehmung von Gewalt und Konflikten nach dem 11. September 2001 in Worte zu packen und es ist immer noch schwer zu greifen.

Die Sache ist die: Ich hatte schon 15 Jahre hinter mir. Mein Frontallappen war zwar noch nicht fertig, aber ich konnte mir einen Begriff von der Welt machen und ihn anpassen. Was machen diese Bilder eigentlich mit einem sagen wir mal damals 6jährigen?

Daran musste ich denken, als wir an diesem Freitag den 13. November auf Twitter die Berichterstattung monierten und gleichzeitig Links zur Live-Periscope-Übertragung eines Polizeieinsatzes in die Timeline gespült wurden.

So ein 6jähriger von damals ist jetzt 20. Vielleicht Student. Vielleicht die Sorte Student, die an amerikanischen Unis durch heftige und aus unserer Sicht hysterisch wirkende Proteste auf sich aufmerksam machen. Sie fordern „Safe Spaces“ und „Triggerwarnings„. Aktuell spitzt sich die Lage in Yale zu, wo neben tatsächlich rassistischen Vorkommnissen die Email einer Dozentin zur Diskussion rund um Halloween-Kostüme etwas zum Überkochen gebracht hat. Ein Meta-Kommentar, der eigentlich eine intellektuelle Auseinandersetzung anstacheln wollte. Jetzt können Studenten nicht mehr schlafen oder essen.
Daraus wiederum speist sich eine Debatte über Aktivismus, fehlende Toleranz und Spott gegenüber den durchgeknallten Millenials.

Jetzt sitze ich hier und frage mich, ob es nicht möglicherweise einen Zusammenhang gibt, wenn eine Generation einerseits eine völlig neue Art von Terror live aufs Smartphone gestreamt bekommt und sich gleichzeitig in ganze Schichten von gedanklichen Sicherheitsmaßnahmen hüllt.

Terror meint in diesem Fall eben nicht nur den islamistischen Fanatiker mit Bombengürtel, sondern auch den Amokläufer in einer Schule sowie einen rechtsradikalen Wahnsinnigen, der auf einer norwegischen Insel junge Leute tötet.
Wenn Konzerte, Klassenzimmer oder Fußballspiele nicht mehr sicher sind, was ist dann ein Safe Space?

Die Debatte, die hierzulande oft durch einen aggressiven radikalen Feminismus angeführt wird, hat etwas mit dem Raum im Kopf zu tun. Wer nicht vorher nach dem korrekten Pronomen fragt, intersektional denkt, das eigene Privileg ablehnt und Spoiler sowie Trigger aus der eigenen Konversation filtert, kann schon mal angegriffen werden.
Die Außenwirkung – nicht nur auf die durschnittlich gebildete Mittelstandsperson – kann, nun ja, abschreckend sein.

Keine Frage, die Intentionen dieser Aktivistinnen sind in ihrem Kern positiv. Es geht um Inklusion, Chancen für Minderheiten, die Wahrnehmung von anderen Stimmen und das Aufdecken von struktureller Unterdrückung. Das ist alles notwendig.
Aber wie kommt es dann zu dieser brachialen Abgrenzung, zur kompletten Negierung von Zwischentönen bis zum Punkt wo die Debatte selbst als schädlich gilt?

Das hat auch etwas mit Medien zu tun.
Mit Aufmerksamkeit für radikale Lösungen und Journalisten die mit ihrem Publikum gern sprechen, als wären wir Idioten. Es ist die Bruchstelle zwischen Social Media und einem alten Medienregime – Fronten, die aktuell immer erst dann zusammenfinden wenn es um Shitstorms oder Memes geht.

Aktivisten nutzen Facebook, Instragram und Twitter weil man in wenigen Worten klare Ansagen weit verbreiten kann. Zeitungen, Fernsehsender und Journalisten nutzen Social Media noch zu oft weil das jetzt irgendwie dazu gehört.
Während in Paris noch Schüsse fielen, tat sich auf Twitter schnell der Journalist Nicolas Martin aka Fighti hervor. Der Franzose ist eigentlich ein Experte für seltsame amerikanische Sportarten, wurde aber nicht erst an diesem Abend zu einer verlässlichen Quelle, die nicht nur durch das Übersetzen der französischen Blitzmeldungen, sondern auch als sachlicher Filter zum Silberschein am Chaoshorizont wurde. Wer von uns weiß schon, welche französische Publikation man ernst nehmen kann?

Warum er an diesem Abend nicht einer der heißbegehrtesten Gesprächspartner in allen deutschen Fernsehredaktionen war – ich begreife es nicht. Da ist jemand mittendrin in Social Media, französischen Meldungen, versteht das ganze zu strukturieren und könnte ideal als Brücke zwischen dem digitialen Overkill und einer gesammelten Aufbereitung im TV fungieren. Eine Brücke, die z.B. angesichts einer komplett planlosen Pariser Korrespondentin in den Tagesthemen dringend nötig gewesen wäre.

Aber ich schweife schon wieder in die Kritik ab.

Wenn am Tag darauf dann Moderatoren Facebook-Kommentare vorlesen, wirken viele davon mit einigen Stunden Distanz geradezu lächerlich. Und die meisten sind irrelevant. Betroffene äußern sich oft erst einige Zeit später und selbst ihre Schilderungen sollten in Kontext gestellt werden.

Die Kunst ist es den Kontext zu finden. Manchmal, wenn man die Guten lässt, gibt es gleichermaßen Blogger und Journalisten, die genau diese Kunst beherrschen und uns in großen Bögen Zusammenhänge näher bringen. Weil das Zeit und Raum benötigt, bekommen es dann allerdings meistens zu wenig Leute mit.
Denn wir sind längst mitten in der nächsten Debatte. (Katzen, DFB, Naidoo – you name it.)

Es sind diese Momente, wo ich gern Mäuschen in Redaktionen wäre. Warum kümmert ihr euch um annähernd inhaltsleere Interviews ehemaliger Fußball-Lichtgestalten anstatt uns mit eurem mittlerweile gefundenen Kontext zu bombardieren? Wenn es immer wieder heißt, dass Fernsehen einfach Zeit braucht, weil man Informationen verifizieren muss, Bilder braucht etc. – warum pusht ihr die Ergebnisse dieser Arbeit nicht auf allen Kanälen?

Mir ist völlig klar, dass die Vorkommnisse in Paris von außerordentlicher Komplexität waren. Gerade aus deutscher Sicht kulminierten sie vier Tage später in einer Pressekonferenz eines konfusen, inkompetenten, haltungslosen, schon längst überfälligen mit den Ereignissen überforderten Innenministers.

Da stehen wir jetzt, wir Millenials und die, die nach uns kommen. Mit alten Medien die uns erst hören, wenn wir ein trending Hahstag haben, mit Politikern die verlernt haben diplomatische Prozesse als kleine wichtige Siege zu präsentieren bzw. im Zweifel umfallen, und auch ansonsten in einer Landschaft ohne vertrauenswürdige Autoritäten auf der Höhe der Zeit.

Plötzlich wirkt die Fokussiertheit, die absolute Überzeugung von brüllenden Aktivisten fast schon souverän. Ja ich weiß, das war im Grunde immer schon so. Aber Generationen vor uns hatten das Glück der Distanz.
Sie wurden auch von Politikern belogen und das mit den objektiven Medien ist auch schon länger hinfällig, aber je öfter die Bilder, die Gerüchte und der Horror einer Katastrophe Teil unseres direkten Erlebens werden, weil in einer Timeline gleich nach dem Katzenbild das Video von Polizeigewalt kommen kann, desto näher ist die Angst.

Und Angst passt so gar nicht in unsere Work/Life-Balance.

0

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert