Vom Fansein jenseits der Pubertät – Über das Leiden mit Fußballern und Gespräche mit Serien-Charakteren

Wahnsinn, oder? Mich gibt es noch. Ich bin selber überrascht.

Als ich 14 war, fand ich nichts bescheuerter, als die gleichaltrigen Mädchen, die sich wegen Boyband-Postern gegenseitig die Haare ausrissen.
Und als vor über einer Woche bekannt wurde, dass mein Lieblings-Fußballer nach 17 Jahren meinen Lieblingsverein verlässt, hatte ich ein gebrochenes Herz.

Ich gebe zu, dass ist kaum zu erklären. Zumindest mit normalen Maßstäben. Entsprechend verwirrt reagierten auch Teile meiner Filterblase. Die anderen Teile sind selbst Fußballfans und wissen genau, dass hier mit Logik nichts gewonnen werden kann. Wobei, selbst hier gab es einige die das Mantra „so läuf’s Business“ vor sich her trugen.
Abgesehen davon, dass ich schon vor einiger Zeit darüber geschrieben habe, warum ich mein Fan-Herz an Bastian Schweinsteiger verloren habe, wird es vielleicht Zeit das alles in einen Kontext zu packen.
Wie gesagt, als Teenager war ich viel zu cool für Idole. Außer ein paar toten Idolen. (hi there Kurt & Freddie!) Popbands waren doof. Schauspieler waren doof. Alle waren doof. Die Welt war gemein und zynisch und ich wollte mit ihr nichts zu tun haben.
Ich will nicht sagen, dass ich heute mein 14jähriges ich kompensiere, denn ich glaube nicht, dass eine erwachsene Person auch nur annähernd die emotionalen Kapazitäten hat, die Backfische in ihre Bewunderung stecken.
Vielleicht ist es sogar viel schlimmer. Denn aus Schwärmerei wird Identifikation.

Bastian Schweinsteigers wechselhafte Karriere vom jungen Talent, über den angeblich überschätzten Bengel zum Fußballgott ist eine von diesen Storys, die dafür wirklich viel Raum bietet. Selbst nicht-Fußballfans erinnern sich bei großen Siegen oder Niederlagen an die Bilder die ihn zeigen. Nicht Philipp Lahm als Kapitän, nicht den Torschützen – denn irgendwann beschlossen Fotografen, dass sich niemand so gut zur Ikone eignet wie der kantige Kerl aus Kolbermoor. (Das musste jetzt sein. Boulevard-Ehre.) Außerdem, und das half meiner inneren Rechtfertigung sehr, sah der junge, weißblonde Schweinsteiger wirklich nicht wie ein Mädchenschwarm aus.

Der Guardian meinte mal, teutonischer könne man kaum aussehen.
Der Guardian meinte mal, teutonischer könne man kaum aussehen.

17 Jahre bei einem Arbeitgeber und sich dort auch noch von der Lehre bis zum Gesellen hocharbeiten – das wiederum ist für meine Generation etwas geradezu absurd seltenes. (Sparkassen-Lehrlinge mal außen vor.) Dass er auch trotz guter Angebote blieb, das hatte aus Fan-Perspektive etwas mit Identifikation, mit Authentizität zu tun. Und das beim FC Bayern München!

Am Ende des Tages (*hüstel*) kam dann ausgerechnet (!) Manchester United (1999!) mit Louis van Gaal (Tjanun) ums Eck und der FC Bayern München wie man ihn kennt und manchmal mit ihm hadert, kann dem letzten Spieler seiner Art kein überzeugendes Angebot machen. Das tut dann eben weh. Besonders einer Person, die sich diese irrationale Verehrung auch als Teil ihrer Online-Persona angeheftet hat. *schnief*

Beim darüber Nachdenken wer diese Schmerzen kennt, bin ich dann bei der anderen Sache gelandet, die einem manchmal ähnlich ans Herz geht: Fiktion. Ob Buch, Film oder – sehr tükisch weil lang – Serien, es gibt diese Charaktere, die man nicht nur einfach mag, sondern die man begreift. Voll umfänglich. Die vielleicht aufgrund einer Marotte, einer Eigenschaft oder ihrer Herangehensweise an Dinge wie ein Spiegel oder sogar ein guter Therapeut funktionieren. Im Grunde genommen ist man hier auch Fan, aber einer, dessen Begeisterung jederzeit in Besorgnis umschlagen kann.

Dann ergeht es einem noch viel schlimmer als dem emotional involvierten Teenager. Denn das Schicksal einer fiktiven Person hat meistens eine reale Person in der Hand. Der Schriftsteller oder Drehbuchschreiber oder Regisseur oder Gott bewahre sogar ein Schauspieler.
Was natürlich furchtbar ist, denn niemand kennt und versteht den Charakter wie man selbst. Also man selbst und noch ein paar Leute im Internet. Weil online, da findet sich heute zusammen was sich früher auf dem Schulhof die Haare ausgerissen hat.
Die Fähigkeit Dialogzeilen rezitieren zu können wird zum Merkmal einer Clique, die man auf dem Schulhof nicht hatte. Wir waren nämlich zu cool für Cliquen.

Toby Ziegler, The West Wing
Toby Ziegler, The West Wing

Zu aller Überraschung entwickelt das Internet (Ich weiß doch auch nicht) eine Vorliebe für komplizierte, schnell sprechende und halbwegs gebildete Soziopathen in schwierigen Situationen. Niemand versteht sie. Die Welt ist schlecht und zynisch und man kann ihr nur mit Sarkasmus und emotionaler Distanz begegnen. Außer man ist in einem Raumschiff. Oder Vampirjägerin. Oder ein Clone. Sie verstehen schon.

Dadurch werden die Gespräche über die Charaktere zu Gesprächen über uns selbst. Wir reflektieren manchmal sogar intensiver und länger über ihre Entwicklung als unsere eigene. Schließlich müssen wir uns damit nicht selbst konfrontieren. Sollte das jetzt klingen, als würde ich mit „uns“ hauptsächlich Nerds mit nur bedingt vorhandenen sozialen Fähigkeiten sprechen – ja natürlich, was dachten Sie denn wo Sie hier sind?

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