Und dann fällt mir gestern Nacht wieder einmal ein, warum ich das Internet so liebe.
Weil ich hier doof sein darf.
Weil es hier immer jemanden gibt, der sich besser auskennt, mehr weiß, mehr Erfahrung hat. Das ist toll. Denn die meisten dieser Menschen kann ich im Internet auch fragen und sie antworten gern zu „ihrem“ Expertenthema. Keiner ist allwissend, das ist quasi ein grundlegendes Internetprinzip. Besonders auf Twitter.
Jetzt fragen Sie sich vielleicht: aber im „echten“ Leben weiß doch auch niemand alles? Natürlich nicht. Aber wir tun dauernd so. Nein, halt, ich tue dauernd so. Als dauerplapperndes Besserwissergeschöpf bin ich für Menschen, die mich in der „echten“ Welt kennen, eine Art analoge Wikipedia geworden. Das habe ich im Übrigen selbst zu verantworten. Schließlich wollte ich immer zu allem eine Meinung entwickeln, mich aus purem Komplex heraus zu jeder Frage äußern.
In der Schule war ich die mit der guten Allgemeinbildung, im Studium der Freak der bei allen Möglichen Sachen auf dem neuesten Stand ist. Ein Teil von mir fand das sogar gut. Der Teil ist mein Ego. Während mein Verstand oft schrie WAS TUST DU DA? DU HAST DOCH EIGENTLICH KEINE AHNUNG! GIB DOCH ENDLICH ZU, DASS DU ES NICHT CHECKST!. Aber solange die Menschen mich um Rat fragten und oft genug sehr beeindruckt waren (ich kann mein Unwissen verbal wirklich gut verpacken), hab ich weiter gemacht.
In einer Übergangsphase habe ich den mich umgebenden Offlinern dann das erzählt, was kluge Leute im Internet gesagt haben. Daraufhin hat man mich für ernsthaft schlau gehalten. Scary stuff. Ganz langsam hab ich dann angefangen eine Art Quellenangabe meiner Behauptungen anzugeben. „Also jemand der selbst Schiedsrichter ist, sagt, dass er den Freistoss nicht anpfeifen muss.“ Oder gern auch während der Tagesschau. „Das ist SO gar nicht passiert und das sagt jemand der VOR ORT war.“
So gesehen ,macht das Internet mich noch schlauer. Interessant ist, dass es einen Unterschied macht ob ich sage: „Tatsächlich ging es bei den Slut Walks eben nicht um Klamotten.“ Oder ich sage: „Die Mädels die mit demonstriert haben, erzählen von bösen Dingen, die sie sich anhören mussten.“ Während ich als Bewohnerin des Internets, die Version MIT Quellenangabe relevanter finde, ist für Menschen die Aussage ohne meine Quelle:Internet oft glaubwürdiger. Noch.
Bereits jetzt sorgt es in manchen Fällen für Nachfragen a la „wo kann ich mehr dazu lesen“ oder „gibt es einen Blog zu dem Thema?“, aber noch ist es zäh. Das hat bestimmt damit zu tun, dass ich auf dem Land lebe und ich, anders als manch andere, noch mit Menschen zu tun habe, die keine Emailadresse besitzen. Aber es zeigt, wie der sich zu langsam wandelnde Umgang traditioneller Medien mit dem Internet einen schlechten Eindruck hinterlässt. Wenn die Tagesschau unter einem Bild die Quelle als „Internet“ angibt, oder böse Nachrichten gern mit „Die Täter haben sich im Internet (!) oder bei sozialen Netzwerken verabredet“, sorgt das nicht für Begeisterung.
Und es gibt in Zeiten einer immer älter werdenden Gesellschaft der Politik die falschen Argumente in die Hand. In England wurden jetzt zwei junge Männer zu Haftstrafen verurteilt, weil sie auf Facebook zur Randale aufgerufen hatten. Hätten sie Flyer verteilt, hätte man das bei Gericht wohl weniger eng gesehen.
Das Problem ist: je mehr wir darauf achten müssen, was wir im Internet sagen, weil es drastischere Konsequenzen haben kann als die Äußerung durch andere Medien, desto weniger werden Menschen klare Haltungen und fundierte Meinungen äußern. Auch Menschen, die sich tatsächlich auskennen.
Dadurch wird das Internet als ganzes dümmer. Und das kann ich wirklich nicht brauchen.
http://grooveshark.com/s/The+Great+Pretender/2x3JLI?src=5
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