Christian Rach gehört zur seltenen Gattung der intellektuellen Köche. Er hat ja auch lange genug Mathematik und Philosophie studiert, ist belesen und kann seine Ansichten tatsächlich entsprechend artikulieren. Neulich, hab ich im Focus (Ausgabe 34/10) ein Interview mit ihm gelesen. Darin sprach er über Esskultur, soziokulturelle Hintergründe und was das alles mit Bildung zu tun hat. 1
Es ist allgemein politischer Konsens, dass wir die Geschlechtsunterschiede aufgelöst haben. In der Arbeitswelt reden wir heute über Neutren, was im Grunde sehr positiv ist. […]
Gleichzeitig wurden allerdings tradierte Verhaltensweisen – die Frau bleibt zu Hause und kocht – aufgelöst. Essen und Trinken als Zentrum des familiären Seins existieren nicht mehr. […]
Man kann es aber auch soziologisch betrachten und sagen: die fehlende Esskultur in den Familien ist eine Quelle der Gewalt. Die entsteht nämlich, wenn man keine Möglichkeit mehr hat, sich zu artikulieren, über Liebe oder Spaß, über Frustration oder Traurigkeit, über Erfolg und Misserfolg. Die Familie als Ort der Bearbeitung persönlicher Probleme ist verschwunden.
[…]
Wir müssen an den Punkt kommen, an dem wir die Familie wieder zulassen und wertschätzen. Egal, ob es eine selbst gewählte Familie ist oder die Familie im klassischen christlichen Sinne, ob es eine Mann-Frau-Beziehung ist oder eine gleichgeschlechtliche Beziehung. Ich bin sicher, dass in der Familie viele Gesellschaftsprobleme zu lösen und zu tragen wären.
AMEN.
Ernsthaft, ich habe dem ganzen so gut wie nichts mehr hinzu zu fügen. Wenn überhaupt, dann fällt mir dazu ein, was meine Mutter oft gesagt hat. „Das wäre ja nicht gegangen, dass da keiner ist, wenn du und deine Schwester von der Schule gekommen sind. Du wärst ja geplatzt wegen der ganzen Sachen die du erzählen musst. Das Mittagessen war schon wichtig, aber die Hauptsache war, dass jemand zugehört hat.“ (Ätschbätsch, meine Mama ist die Beste.)
Das Ritual eines gemeinsamen Essens pro Tag hat zum einen die starke soziale Komponente – zum anderen die Ernährungstechnische. Schließlich betreibt man für eine Gruppe von Menschen einen ganz anderen Aufwand bei der Zubereitung. Zutaten werden wichtiger, der tatsächliche Wert eines Mahls wird höher. Was für jemanden wie mich eine unglaublich simple und unumstrittene Tatsache ist (Kindheit auf dem Land, sie wissen schon.) muss man jungen Menschen heute vielfach beibringen. Meint auch Herr Rach.
„Allgemeinbildung“ gibt es bei uns nicht mehr in der Schule. Ich würde sie subsumieren unter der Rubrik „Wirtschaft“, und darin müsste es unbedingt ein Fach „Steuern“ geben, so wie ein Fach „Gesundheit und Ernährung“. […] Wir haben extremste Defizite in dem Verständnis von staatlich-wirtschaftlichen Zusammenhängen, weil sie leider in den Schulen nicht gelehrt werden. Noch eklatanter sind die Defizite in puncto Ernährung.
„Gesundheit und Ernährung“. Darunter fällt für mich auch „wo kommen Nahrungsmittel her“ mit der Exkursion „so sieht ein Bauernhof und so eine Massentierhaltung aus“. Womit ich – Überraschung – bei dem aktuellen Buch von Jonathan Safran Foer, Tiere essen bin.
Vorneweg: ich habe das Buch (noch) nicht gelesen. Nachdem ich etliche Artikel und die bemerkenswerten Beiträge einer der Übersetzerinnen, Isabel Bogdan (@twitter) gelesen habe, freue ich mich, dass hier jemand zwar informiert und erzählt, aber dafür nicht belehrt oder missioniert. Viele von uns essen zu viel Fleisch und wissen zu wenig darüber, wo es her kommt. Aber nicht für alle ist Vegetarismus die Antwort darauf.
Ich muss nochmal kurz auf die Sache mit der Kindheit auf dem Land zurück kommen. Der Bauernhof meines Onkels am Ende der Straße, war die Bezugsstelle für Milch und Eier, die ich auch schon persönlich aus Hühnernestern sammeln durfte. Auf dem Rückweg kam ich an der Weide vorbei, dort standen die Rinder. Ich wußte relativ bald wohin der Weg der Viecher führte und kannte dann auch den Schlachter. Von dem wiederum (ja gut, Bayern ist klein, das war erweiterte Verwandtschaft) holten wir unser Fleisch. Bis ins Teenageralter war mir nicht klar, dass es Fleisch und Wurst auch in abgepackter Form im Supermarkt gibt.
Sogar die lokalten Gasthäuser hier schlachten entweder selbst, oder bekommen sehr hochwertiges Fleisch von hiesigen Bauern.
Was mir tatsächlich bis dato nicht klar war: ich habe einen sehr traditionellen Bezug zu Lebensmitteln und deren Wert. Dafür bin ich heute sehr dankbar.
Jeder Bericht zu Legebatterien, Tiertransporten und den schwachen gesetzlichen Regelungen zur Massentierhaltung macht mich zuerst traurig und dann wütend. Und die Wut steigert sich, wenn ich die Sonderangebote der Supermärkte lese, wo man Aufschnitt für Centbeträge verkauft. Zum Verständnis: hinter jeder Scheibe Wurst steckt die Aufzucht, Schlachtung und Verarbeitung eines Tieres. Bei artgerechter Haltung heißt das vor allem viel Arbeit, viel Zeit und kurze Wege. Das schlägt sich logischerweise im Preis nieder.
Ergo: nur wenn der komplette Ablauf so kosten-effizient wie möglich gestaltet wird, kann Fleisch derart billig sein. Also werden die Tiere zusammengepfercht, gemästet, durch die Gegend transportiert und in der Fabrik verarbeitet. Dieser Fakt sollte in jeden Kopf der westlichen Wert.
Ich glaube, dass es Foer auch mehr darum geht, als aus uns allen Vegetarier zu machen – wir sollen nur Nahrung wieder wertschätzen. Die Deutschen geben europaweit den geringsten Prozentsatz ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Klar, nicht alle. 2 Aber die Statistiken sind düster: nur 11% (Elf!)eines Haushaltseinkommens werden im Schnitt für Lebensmittel ausgegeben. Weil Essen bei vielen das Erste ist, an dem gespart wird. Noch vor Elektronik, Urlaub oder anderem Schnickschnack. Wir kaufen das beste Motorenöl für das neue Auto, aber kaufen fröhlich unser Olivenöl beim Discounter. Das nehmen wir ja nur zu uns.
Länder, deren Sinn für gutes Leben wir bewundern, wie Frankreich (15,7 %), Spanien (20,3%) und Italien (20,4%) rümpfen da zurecht die Nase. Essen hat Vorrang. Die Mittagspause findet auch nicht am Schreibtisch statt, sondern man sitzt 2 Stunden (!) zusammen und genießt. Eine Wohnung ohne Esstisch? Unvorstellbar.
Essen erhält uns am Leben – in wahrsten Sinne des Wortes. Was wir essen, wie wir essen, mit wem wir essen – all das sagt viel über unser Leben aus. Ich bin kein großer Fan von Kochshows und irgendwelchen Trends beim Essen. Aber ich applaudiere jedem, der ernsthaft versucht unsere Wahrnehmung und unser Verhalten in dieser Hinsicht zu verbessern.
- Außerdem habe ich in dem Interview ein neues Wort gelernt. Inkommensurabel = die Theorie von der Unvergleichbarkeit der Dinge. Was für ein großartiges Wort. ↩
- Wissen sie noch, damals, als der Sebas noch gebloggt hat und die Leute ein gemeinsames Gesprächsthema hatten? Das war sogar noch vor Twitter. Irre. ↩