5 Dinge- KW 8 & 9 / 2023

Es ist insofern praktisch gelaufen, dass in KW 8 alles und in KW 9 fast nix passiert ist, weil ich krank von der Dienstreise zurück kam. Jetzt gerade schreibe ich das hier im nächsten Zug fertig. Wie angekündigt ist gerade von Routine keine Rede.

  • Lizzo und die Wirkung, ich versuche kein Essay zu schreiben. 20. Februar, Hamburg, mit fantastischer Konzertbegleitung stand (!) ich also fast zwei Stunden in einer Arena und fühlte mich so, wie es anderen Leuten wohl auf Drogen geht. Weil abgesehen von toller Musik, grandioser Show mit sensationellen Tänzerinnen, weiblicher Band und smarter Inszenierung, ist die ganze Person Lizzo, ihr Erfolg, ihr Selbstbewusstsein immer noch ein Kulturschock. Oder, wie jemand hinter uns, Teil des sehr bunten, queeren, wilden Publikums meinte: „Wofür zahle ich meinem Therapeuten 200 Euro die Stunde, wenn es das hier gibt?“. Ich hadere immer noch damit in Worte zu fassen, was es mit jemandem wie mir anstellt, wenn da diese imposante schwarze Frau vor 15.000 Leuten steht, darüber singt wie Cute sie ist (Ist sie. Meine Güte sah sie gut aus. All the flowers für ihr Team!) und auch für ein hautenges Glitzer-Outfit bejubelt wird. Wenn sie sich umdreht, twerkt und die Kamera geht auf ihren Hintern, explodiert die Halle. Eine dicke, schöne, strahlende Entertainerin, die auch verstanden hat, warum ihr Erfolg über Musik hinaus geht. An einer Stelle lässt sie die Lichter runternehmen und macht 10, fast 15 Minuten Crowd-Work. Sie pickt Reihen in der Arena und spricht Leute mit tollen Outfits an, liest die Schilder, sieht die Regenbogenfahne. Sie sieht uns und es ist in dem Moment keine Show, sondern Verbindung. (Nein, hier schneidet niemand Zwiebeln.) In Hamburg sagt sie, hat sie ein großes Banner mit „Black lives matter“ gesehen und es ist echt, wenn sie erzählt wie sehr sie das berührt hat. SHE’S EVERYTHING AND SHE KNOWS IT. Es gibt auf dem aktuellen Album einen Song, von dem ich schon wusste, dass er mich live ruinieren würde. „Naked“.

Welcome to my body, I know it’s nice to meet it
Fantasies been written ‚bout the beauty and the sweetness
Can I be discreet with you? will you keep all my secrets?
I just wanna lay it down and open up the deepness
All the conversations say I should feel a way
I don’t care what people think or spend or sway, we can run away (yeah)

Let down my guard, undo my robe
I’m standing here, don’t need no clothes

I’m naked
Love how you look at me naked
Come make this body feel sacred
I’m a big girl, can you take it? naked

„Naked“ Lizzo, vom Album „Special“
  • In der Show steht Lizzo dann ganz vorne am Steg und der Scheinwerfer ist so eingestellt, dass man nicht sieht, ob sie überhaupt etwas anhat. Stattdessen werden Bilder auf ihren Körper projiziert. Formen, Farben, das Universum. Ich habe mir beim Konzert einen Moment genommen und mich umgesehen. All die Frauen, mit unterschiedlichsten Körpern, jede von uns mit einer Geschichte und dem Hadern dazu. Und dann dieses Lied, über einen der verletzlichsten Momente, die es gibt. Beim letzten Akkord steht auf ihrem Körper dann „My Body, my choice“. (So. Viele. Zwiebeln.) Live-Musik hat mich immer schon ein bisschen geheilt, aber dieser Abend vibriert immer noch nach, seine Wirkung wandert durch meine Zellen, jedesmal wenn ich wieder über ein Video mit ihr stolpere.
  • So, äh, Themenwechsel. Uffz. Frau Kaltmamsell hatte vor kurzem gefragt: „Wovon leben Sie so?“ . Was ich gerade hinsichtlich von Plänen spannend finde. Ich gehe ganz „normal“ zur Arbeit als Projektmanagerin. Ich verdiene gut, was mir erlaubt Geld zur Seite zu legen, in ein Tagesgeldkonto für größere Ausgaben und in ein Portfolio mit Fonds-Anteilen. Die sollen irgendwann mal genug wert sein, dass ich nicht in die Altersarmut falle. Weil geerbt wird nix, im Gegenteil. Die Rücklagen meiner Eltern schmolzen dahin, als mein Vater pflegebedürftig wurde und ohne seine Witwenrente wiederum, wäre es bei meiner Mutter ziemlich knapp – schließlich hat sie während sie in den 80ern zwei Kinder bekommen hat, fast ein Jahrzehnt nicht gearbeitet, den Umstieg auf EDV quasi verpasst und auch danach nicht immer 40 Stunden gearbeitet. Ach Mist, jetzt wird es doch wieder ein Rant. Zurück zur Frage. Ich zahle zwar in die Rentenkasse ein, habe auch eine kleine private Zusatzversicherung dazu, aber von der gesetzlichen Rente erwarte ich als Jahrgang 1985, der laut Plan dann 2052 in Rente gehen darf, eigentlich nix mehr. Ich verdiene erst seit kurzem gut genug, um wirklich Rücklagen zu bilden und habe das große Privileg zu wissen, dass es die nächsten Jahre noch mehr wird. (Noch ersetzt KI keine komplette IT – Abteilung und eine Weile wird man uns noch als Dolmetscher Mensch-Maschine brauchen.) Ich habe keine Kinder oder Ehepartner und ich habe keine Pläne das zu ändern. Entsprechend bin ich – und auf eine Art ist das als Frau ein modernes Privileg – auf mich allein gestellt. Vielleicht hab ich irgendwann eine Katze, der ich alles vererben kann. Meine Kosten sind vergleichsweise niedrig, meine Miete treibt Münchnern die Tränen in die Augen, ich habe kein Auto – dafür lebe ich gerne sehr gut. Open End Frühstück, guter Wein, spontan jemanden einladen können – das ist mein kleiner Luxus, auf den ich nicht mehr verzichten will. Ich könnte frugaler leben, womöglich mehr als ein Drittel meines Gehalts zur Seite legen – aber wofür denn jetzt genau? Solange es noch Autos gibt, kann ich jederzeit von einem überfahren werden, also lasse ich nix aus.
  • Ich bin momentan viel unterwegs, praktischerweise hat mein AG mittlerweile in den meisten Städten ein eigenes Büro. Wie anders der Tag ist, wenn der Weg dorthin ein Spaziergang ist. Nix gegen das Pendeln (in seiner aktuellen hin- und wieder Variante), aber gerade auch, weil der AG seine Geschäftsstellen gerne ans Wasser legt, hat das großen Charme. In Kombination mit kleinen City-Hotels, die verstanden haben, dass Reisende wie ich mehr als Frühstücksbuffet und Zimmerreinigung brauchen, kann ich so ein kleines bisschen Reisetätigkeit mittlerweile mit mir ausmachen. (Nicht so viel wie momentan allerdings. Ich weiß noch nicht was da alles in der Planung kaputtgegangen ist.)
  • Noch besser wird das ganze rumgefahre dann, wenn man es mit dem Wiedersehen toller Menschen verbinden kann. Beim Lizzo-Konzert konnte ich zwei ganz fantastische Damen miteinander bekannt machen, später in Köln dann ein anderes Lieblingsgespann mal wieder sehen. Als jemand, der das mit Menschen eher schwierig findet, merke ich mittlerweile, wann solche Dinge für mich funktionieren – nämlich, wenn wir den Smalltalk weglassen. Das habe ich besonders in Köln gemerkt, wo es über Pasta und Wein um große, auch schwere Geschichten ging. Es hilft natürlich, wenn Leute erzählen können und Humor haben, aber ich verspüre ein großes Glück, wenn Menschen, die ich nicht oft sehe und auch auf Social Media nicht immer ganz mitbekomme, ihre echten Themen mit mir teilen, erzählen, was gerade wichtiges passiert. Dafür lohnt es sich dann zu wenig zu schlafen oder im Regen zu laufen. Das sind die Dinge, die ich mit mir trage und mich wissen lassen, dass ich doch ein bisschen Teil der Spezies bin.
  • Ausnahmsweise brauchen wir heute einen Punkt mehr und zwar für die 97. Ich bin ein Eishockey-Kind, aufgewachsen im Dunstkreis der legendären bayerischen Vereine, die vor langer, langer Zeit mal national den Sport beherrschten. An erster Stelle natürlich die Star Bulls Rosenheim, Landkreis-Mythos quasi. Eh schon durchgeschüttelt durch einen Verlust letztes Jahr, hat es jetzt noch einen dumpfen Schlag getan und Stürmer Mike Glemser verletzte sich beim Spiel gegen den SC Riessersee (auch so eine Legende) schwerstens. Es gibt, auch in der schützenden Eishockey-Ausrüstung immer noch die eine Stelle, den blöden Winkel aus dem großer Schaden angerichtet werden kann und nach wochenlangem Kampf, ist Glemser jetzt am Leben, wird aber gelähmt bleiben. Es ist womöglich die Erinnerung daran, wie schnell sich alles ändern kann, dass niemand unverwundbar ist, warum mich diese Geschichte so unfassbar rührt. Jedenfalls werde ich noch eine Weile mit der Spendenaktion des Vereins – 97 #beStrong – für die Kosten von Behandlung und Reha nerven.
  • Ich wollte eigentlich weiter ausholen, über den Wahnsinn des bayerischen Wahlkampfes, die eigenwillig ambivalente Wirkung einer Veranstaltung wie des Nockherberg und warum die volkstümisierung der CSU ihr auch als Satire verpackt immer wieder Stimmen einbringt, aber, um es mit Frau Schulze zu sagen: #Pimmelpolitik. (ich hab schon wieder vergessen, wie der Generalsekretär heißt.)
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