Meine Fernbeziehung zum Netzfeminismus

das hier legt mir schon eine Weile auf der Seele und ich wünsche ich hätte mehr Vokabeln, um differenzierter ausdrücken zu können was ich sagen will. Aber die habe ich nicht und jetzt muss es raus. Wer sich davon kritisiert oder beleidigt fühlt: Willkommen im Club.

Radikal ist cool, aber cool war ich noch nie.

Disclaimer: Ich bekomme all die Shitstorms und Aufreger kaum noch mit, ich verstehe die Feindbilder nicht und diese dauernde Vereinnahmung bei der Feminismus die Glocke für Antirassismus und LGBT-Themen ist, nun, das sollen andere beurteilen.

Das Netz hat mich zur Feministin gemacht. Das Netz treibt jetzt mit Gusto einen Keil zwischen mit und die Bewegung. Wobei, seien wir genau: Zwischen mich und den deutschen Netzfeminismus. Fürs erste ist es Distanz, eine freiwillige. Wir reden noch manchmal, ich denke hin und wieder daran. Aber eine gemeinsame Zukunft ist unklar. Irgendwer müsste den Raum überwinden und ich bin stur.

Mir ist klar, dass Betreuungsgeld und Mütterrente populistisch und größtenteils nutzlos sind – sie sind aber auch die erste greifbare Anerkennung für Erziehungsarbeit seit der Einführung des Kindergeldes. Aber anstatt dort anzuknüpfen und konkrete, besser Vorschläge zu machen, kippen die Redeslführerinnen 1 Dreck über dem politischen Gegner aus. Um danach Nelson Mandela zu zitieren.
Diese großspurigen Beraterinnen und Gründerinnen irgendwelcher ungelesenen Publikationen machen oft den Eindruck als wollten sie Frauen zuerst der Familie und dann einander entwöhnen. Nur noch einsame, hochgebildete Wölfinnen auf queeren Wegen. Der Rest wird zurückgelassen, weil nur zählt, wer sich befreien will.

Die grundsätzlich Ignoranz gegenüber der Wirklichkeit ist dabei nur der Anfang meines Ärgers. Einer Wirklichkeit, in der Frauen schlechtbezahlt in Dienstleistungsberufen Überstunden machen und keine Zeit für flausch-Barcamps haben. Die in Branchen arbeiten, die nicht nur frauenfeindlich, sondern menschenfeindlich sind. Ich habe nicht die Hybris diesen Frauen zu sagen ihr Wunsch nach Doppelhaushälfte, einem Ehemann und zwei Kindern wäre der Sieg des Patriarchats. Des Kapitalismus, natürlich. Aber das sind, so sehr Teile der Bewegung das anders sehen, zwei unterschiedliche Dinge. Und wenn diese Frauen sich dann darauf freuen ihre Kinder die ersten drei Jahre selbst zu erziehen, weil sie nicht im Discounter an der Kasse sitzen müssen, das ist dann schlecht für die Gesellschaft? Oh, mein Fehler, diese Frauen ohne Abitur gelten ja auch als bildungsfern und der Staat sollte sich dafür einsetzen, dass sie ihrem Nachwuchs durch die fehlende klassische Bildung und ohne zweite Fremdsprache nicht zuviel Schaden zufügen.
Wenn der ungebildete Handwerker-Vater sich gern um die Kinder kümmern will, während Sie CFO irgendwo wird, ist das etwas anderes.

Verstehen sie mich nicht falsch, jede arbeitende Mutter die Karriere machen will, soll jede mögliche Betreuungsoption haben, die man sich denken kann, klar. Aber das Herabwürdigen von Frauen, die sich anders entscheiden, geht mir unfassbar auf den Zeiger.

Prägend für mich ist momentan aber eben die Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, in der mein erstes Beispiel noch wesentlich öfter vorkommt als die Mutter im Aufsichtsrat, die dringend eine Kita mit RundumdieUhr-Öffnungszeiten braucht. Aber hey, das ist meine Blase. Die Filterbubble manch blubbernder Netz-Elite-Feministin (höhö) ist dramatisch anders und animiert zur Schöpfung von Begriffen wie “Hetenperformance”. Applaus!

Was diese „Aktivistinnen“ nicht sehen, ist, wie sehr ihre Negierung irgendeiner Mittelklasse den eigenen Zielen schadet. Anstatt Feminismus als klare, kluge und offensichtliche Denkweise durch alle Klassen sickern zu lassen 2, wird ein Luftschloß gebaut, in dem jeder sprachliche Faux-Pas ein digitales Schlachtfest nach sich zieht, man sich gegenseitig für das White-Privilege auspeitscht und zu mehr Sensibilität gegenüber ausländischen Drogendealern ermahnt.

Wer mit diesen schrillen Perspektiven nicht umgehen kann, darf nicht mitspielen.
Das Problem ist: Viele vernünftige Frauen, die täglich mit wirkliche Problemen durch Geschlechter-Ungerechtigkeit kämpfen, haben nicht die Kraft sich irgendwelche Schreigefechte mit Gender-Studentinnen ohne Abschluß zu liefern.

Ich auch nicht. Darum geht neine Sorte Feminismus gefühlt gerade im Netz unter.
Mein Feminismus, das sind Gespräche mit jungen klugen Frauen um mich herum, die dagegen sind, die “Pille danach” unkompliziert verfügbar zu machen. Ihr internalisiertes Frauenbild ist so (selbst)kritisch, dass sie promiskuitiven Männern ihre Dummheit und Verantwortungslosigkeit zugestehen, aber Angst haben junge Frauen könnten “noch weniger aufpassen”. Es würde auch “die falsche Sorte” Frauen zu unseriösem Verhalten animieren. Egal wie jung, egal wie verliebt – weibliche Unvernunft soll doch bitte Konsequenzen haben. Ansonsten kann sie sich doch “kümmern”. Um Kondome, um die Pille, um den Trieb des Kerls.

Es braucht erstaunlich lange, wenn man diesen sonst im besten Sinne liberalen Menschen erklären will, warum Dinge wie die Pille danach die Grundlage für einen Paradigmenwechseln sind. Passend dazu war die erste, die komplettes Verständnis zeigte eine Krankenschwester. Sie hatte schon zu viele verzweifelte Mädels gesehen, die sich nach der Zeltdisco nicht ganz sicher waren, ob ihnen nicht jemand was in die Whisky-Cola getan hatte. Je unkomplizierter, normaler und sicherer Sex wird, desto weniger müssen sich Frauen darüber definieren.

Mein Feminismus findet statt, wenn ich in Runden mit standhaften CSU-Wählern über Frauenquoten und deren positive Wirkung rede. Über eine Denkweise, die differenzierter ist als die meisten Statements von Alice Schwarzer. Über Feminismus, der Spaß und Sinnlichkeit für alle will und ein effektiver Erziehungshelfer für Eltern von Töchtern sein kann. Über pinkes Spielzeug, über Frauen die sich gegenseitig manipulieren und kichernd die eigenen Klischees feiern. Ein Feminismus, der Barrieren abbaut, anstatt neue aufzuziehen.
Keine nebulösen Begriffe, keine Verurteilung, simples Argumentieren. Wenn x, dann y und das ist besser für alle.

Der Netzfeminismus hat nie gelernt sich als clevere Option darzustellen, dafür wird zuviel verurteilt und ausgelacht. Ich kann das nicht mehr. Feministin zu sein, ist kein Grund überheblich zu werden. Etwas verstanden zu haben, zu dem vielen immer noch der Zugang fehlt, ist kein Grund meine Meinung undifferenziert und ohne Gedanken an andere Ansichten zu verbreiten. Der Feminismus muss dringend von seinem akademischen hohen Ross herunter und mal wieder zu Fuß gehen. Menschen wollen lernen und wollen sich richtig verhalten, aber sobald der digitale Zeigefinger nur noch Fehlverhalten zeigt und alles zum Skandal aufbauscht, wird sich eine Trotzhaltung dazu entwickeln. PETA, anyone?

Ich bin viel online, halbwegs gebildet, jung, single – und ich ertrage den Netz-Feminismus gerade nicht mehr. Es tut mir leid.

  1. meistens ohnehin nicht betroffen weil weit weg von jeder Art Familie. Während die tatsächlichen Mütter im Netz oft diejenigen sind, die unterschiedliche Lebensentwürfe akzeptieren und sehr pragmatisch über die aktuellen Möglichkeiten reden. But I digress.
  2. Apropos, der Ausschluss von allen die sich der Bewegung nicht vollumfänglich ausliefern ist der wahre Klassismus, nicht ein paar Bücherregale, HERRGOTTNOCHMAL.
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