Dieses Sprechen über Gefühlsdinge können wir beide nicht. Umarmungen können wir nicht. Unser Humor ist eher grob, unsere Art Zuneigung zu zeigen äußert sich manchmal in komischen Bemerkungen.
Stur und eigensinnig sind wir. Deswegen war es dir auch vollkommen egal, dass es zwei Töchter statt Söhnen geworden sind. (Die hätte Oma halt gern gesehen, konnte ja keiner ahnen, dass die gesamte Familiengeneration weiblich wird.) Du hast uns trotzdem eingetrichtert, vor genau niemandem zu kuschen und den Mund aufzumachen wenn etwas nicht passt. Dass ich nicht auf den Kopf gefallen bin, habe ich natürlich von dir. So wie meine Schwester ihre unendliche Loyalität. Und ihren Fahrstil. Dafür hab ich deine Augenbrauen und sogar das habe ich dir verziehen.
Ich mag nicht sentimental werden. Aber wenn ich an uns denke, dann sehe ich das alte Foto vor mir. Du, schlafend auf dem Sofa. Ein Berg von einem Mann im roten Zopfpulli. Auf deinem Bauch liegt so ein rosa Bündel und schläft selig. Sicher, dass ihr Papa sie vor allem beschützen würde. Auf deine, manchmal etwas eigenwillige Art, hast du das auch immer getan. Als groß, stark und laut.
Seit einiger Zeit sehe ich, wie die Jahre sogar dir plötzlich etwas anhaben. Wie die immer befürchteten Spätschäden deine ohnehin schon launige Natur noch mehr beeinträchtigen. Rasiert und gekämmt bist du immer noch was die Leute „stattlich“ nennen. Aber deine Hände gehorchen nicht mehr so und manchmal spielt sogar dein Kopf nicht mehr mit. Die hilflose Wut darüber lässt dich altern.
Ich hätte dich gern gekannt, bevor manche Dinge passiert sind. Bevor andere dir Narben zugefügt haben, seelisch und körperlich. Es gibt so vieles, was ich gern sagen würde. Aber jetzt, nach all der Zeit, bist du empfindsam geworden. Einiges werde ich mit mir selbst ausmachen müssen. Für manches wird sich die richtige Zeit finden. Ich brauche noch ein kleines bisschen Abstand. Damit ich deinen Schmerz nicht mehr länger zu meinem mache. Das kriegen wir aber auch noch hin. Mia zwoa Gschwoischädl.
Noch haben wir Zeit.
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