(Dieser Eintrag erschien vor kurzem auch in meinem Spox-Blog)
Was Fußballfans mit Nerds zu tun haben und welchen Nutzen Event-Jubler bringen.
Letzten Freitag, mittags in einem Münchner Büro. Ich sitze hibbelnd und klickend vor dem PC. Die Auslosung! Dortmund, Real oder doch Barcelona? An produktive Arbeit ist nicht zu denken. Um mich herum: emsiges Tippen, lockere Gespräche über das Wochenende. Das Klischee einer komplett weiblich besetzten Abteilung. Dann der Moment der Wahrheit: Über meine Twitter-Timeline rattern die Ergebnisse herein. Heimrecht im Hinspiel. Und vor allem: Barcelona! Der größte von allen Namen. Anspannung, Euphorie.
Um mich herum: Kolleginnen, die über Nagellack reden.
Jetzt verstehen Sie mich nicht falsch: Meine Kolleginnen sind toll und clever, und unsere Gespräche drehen sich um Themen aus allen Bereichen. Also, seit ich da bin, sind es wirklich alle. Denn mit mir kam der Fußball ins Büro, und ich erlebte meinen ersten erschütternden Filterbubble-Moment in Sachen Fußball.
Ich meine, München! Eine Stadt, in der Fußball, ob blau-weiß oder rot-weiß, quasi überall präsent ist. Gesprächsthema in der U-Bahn, Grund für Eilmeldungen und Terminänderungen. Als ich den neuen Job antrat, war ich nicht im Entferntesten auf die Idee gekommen, dass ich jemandem dazu Grundlagen erklären muss.
Bis zum Tag, als Pep Guardiola kam. Genauer gesagt: bis seine Ankunft im kommenden Sommer offiziell verkündet wurde. Denn plötzlich bemerkte ich, dass weder in meinem noch in angrenzenden Büros wirklich darüber geredet wurde, während ich an kaum noch etwas anderes denken konnte. Das Geschnatter um mich herum hatte den Fußball in keiner Weise zum Thema. Es war in meiner Wahrnehmung wie weißes Rauschen. Auch im restlichen zugegebenermaßen bunt zusammengewürfelten Stockwerk: kaum eine Reaktion. Die Logistik-Jungs haben irgendwann darüber gesprochen. Nicht mal die IT findet Fußball „wirklich interessant“.
Plötzlich war meine Fußball-Begeisterung eine Nische, etwas Geek-artiges. Das hatte ich bis dato nicht erlebt. Ich kenne den Zustand grundsätzlich durchaus, schließlich ist Doctor Who bei uns kein Straßenfeger, und selbst Bloggen ist eine für viele noch sehr ungewöhnliche Tätigkeit. Aber Fußball? Fußball?!
Zum ersten Mal konnte ich mit dem Finger die Filterbubble berühren, ihre Grenzen sehen.
Ein Erlebnis, das einen gerade als Bayern-Fan in eine manchmal ganz angenehme Realität zurückholt. Und mir verdeutlicht, wie viel Raum dieser Sport, mein Verein in meinem Leben einnimmt, besonders, seit ich über die diversen sozialen Netzwerke mich noch mehr darüber austauschen und aufregen sowie Gleichgesinnte kennen lernen kann. Schließlich gehöre ich zu dieser bekloppten Sorte, die sich annähernd jeden Artikel (Springer-Erzeugnisse mal ausgenommen), jedes Interview und an schlechten Tagen auch Fußballstammtische zu Gemüte führt. (Damit sollte ich wirklich aufhören.)
Jedenfalls, die Bubble. Und gewissermaßen auch die Event-Fans. Die sich im schwarzrotgoldenen Delirium an meine Blase aus Insidern, Kennern und „echten“ Fans anlehnen, die Arme in die Luft reißen und begeistert kreischen. Ich hatte diese Meute immer schön weit weg von mir verortet. Also bitte, man muss doch auch mosern und granteln dürfen, und wen zur Hölle hat Löw da wieder aufgestellt!
Bis man auf unschuldige, aber interessierte Unwissende trifft. Wie meine Kolleginnen. Die haben, zu meiner Überraschung, keineswegs angesichts meiner Begeisterung genervt mit den Augen gerollt. Sie fanden es vielmehr spannend, auch mal etwas über den Ehemann von Sylvie zu erfahren. Oder warum es Leute gibt, die Herrn Klopp nicht mögen. Ich bin zwar der Freak, aber ein enthusiastischer Freak. Und wenn ich manchmal noch vom Büro aus ins Stadion fahre, in Trikot und Schal, sind sie mit mir begeistert.
Natürlich, sie schauen fast ausschließlich die Spiele der Nationalmannschaft. Sie erinnern sich am ehesten an Spieler, die nett aussehen. Sie mögen die gute Stimmung während internationaler Turniere. Sie haben keine Ahnung, warum Pep Guardiola bei mir für glänzende Augen sorgt. Aber kein Problem: Ich weiß ja auch nicht, warum andere so viel Zeit in Schuhgeschäften verbringen.
Wenn jetzt der FC Bayern und Borussia Dortmund durch erhöhte Aufmerksamkeit für den einen oder anderen Champions-League-Event-Fan sorgen, dann sollte man sie nicht sofort vergraulen. Ja, sie sitzen plötzlich in unserem Sandkasten, sie kennen die Regeln nicht und glauben, dass ihre Glitzerschaufeln von Coca Cola unglaublich cool sind, aber im Grunde genommen sehen sie nur andere Leute Spaß haben und wollen mitmachen.
Dafür werden sie aber keine Zeit mit grausligen Freundschaftsspielen verbringen, keine Taktikanalysen lesen und wieder verschwinden, wenn wir uns fragen, welche Aussagekraft die Aufstellung im Vorbereitungsspiel gegen den FC Hintertupfingen hat.
Gleichzeitig werde ich zum Beispiel in den neuen Star-Trek-Film gehen. Ich bin kein Trekkie, ich habe keinen der anderen Filme gesehen. Ich mag Zachary Quinto und Benedict Cumberbatch und das gemeinsame Ärgern darüber, wie unsinnig über Löcher im Plot gesprungen wurde. Quietschendes Fan-Dasein als zwischenzeitliche Sommerpausenbeschäftigung, wenn man so will.
Wenn ich nach den Halbfinalspielen in welcher Stimmung auch immer an meinen Schreibtisch kommen werde, sind da interessierte Menschen, die eben nicht die Taktik auseinandernehmen wollen. Oder den Schiri beschimpfen. Die werden sich freuen oder mit mir ärgern. Interessiert zuhören, während ich wahlweise begeistert oder stocksauer das Spiel respektive die Fehlentscheidungen rekapituliere. Mich dann im Gegenzug womöglich über die neuesten Entwicklungen an der Heidi-Klum-sucht-Vertragsopfer-Front informieren.
Worauf ich, glaube ich, hinaus will: Die Bubble hat Vorteile. Weil: Wenn in meiner Blase Träume platzen, ist nicht nur Enttäuschung und hoffnungslose Leere drumherum, sondern da sind Menschen, die sich ebenfalls für etwas begeistern, in ihrer eigenen Bubble stecken. An die und ihr Hobby kann man sich dann für einen Moment super anlehen, die Arme in die Luft reißen und kreischen.
(Jedwede Ähnlichkeit zu Fangirls anderer Couleur ist rein zufällig.)
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