Weil eigentlich hatte ich mir nie vorgenommen Twitter-Menschen zu treffen. Also nicht, dass ich mich dagegen wehre, aber das sind ja erstmal einfach 140 Zeichen. Ganz schön wenig als Basis.
Dachte ich.
Nach dem gestrigen Abend kann ich sagen: Ist genauso super wie damals schon, mit Chat-Bekanntschaften. Bonus Feature: gemeinsames ins Handy-vertieft-sein ohne, dass es als unhöflich gewertet wird. (Respektive gemeinsames Essen fotografieren.)
Gerufen hatte das Lustspielhaus in München zur Inszenierung von „im weißen Rössl“ mit der fabelhaften Luise Kinseher. Und während ich sonst unter Freunden gerne mal für meinen seltsamen, noch dazu lokalpatriotischen Geschmack belächelt werde, hatte sich auf Twitter ein Wagemutiger gefunden, der sich mit mir den Abend um die Ohren schlagen wollte. Der @stadtneurotikr nämlich (der außerdem hier einen reizenden kleinen Gemischtwarenblog führt.). 1
Nach wenigen Turbulenzen in und um München (Finden wir Menschen, die einen im Zug spontan Zeichnen ohne ein Wort dazu zu sagen gut oder gruselig?) trafen wir uns in der Innenstadt zusammen, um als erste wirkliche Tagesleistung einem großen Stück Fleisch, englisch gebraten, den Gar auszumachen. Und über Fußball zu reden. Weil wenn man Twitterer im wirklichen Leben trifft, ist das wie Twitter nur mit Steak und Bier. Schon putzig. Und man kann ungehört über die Timeline-Besetzer und ihre Marotten lästern. (xy guckt ja wirklich alles an Sport und abc verteidigt auch den letzten Gaucho…dafür wüßte, wie man das hier auf der Karte ausspricht… usw.)
Ich könnt mich daran gewöhnen. Es sind genau die Momente, die diesem hyperironischen 2.0-Gelaber manchmal einen Goldschimmer geben. Echte Menschen die hinter all den Tweets, Blogeinträgen und Bildern stehen. Mit denen man super Bier trinken und ins Theater gehen kann. Keine Generation vorher hat so wenig Ausreden für’s Einsam sein. Nicht mal ich krieg es noch hin.
Natürlich ist es auch Glückssache, wie bei jedem neuen Kontakt. Nicht immer ist das Gegenüber so locker und interessant wie man online dachte. Allerdings sorgt die schiere Anzahl der Kommunikationskanäle dafür, dass es schwierig wird, durchgehend etwas „vorzuspielen.“ Übrig bleiben diejenigen von uns, die in ihrer digitalen Persönlichkeit ein bisschen extrovertierter wirken, mehr Esprit haben als es der Realität entspricht. Da schließe ich mich durchaus mit ein.
Vom Steackhouse aus, waren es nur ein paar Minuten bis zur Occamstraße und auf dem Weg bekam ich gleich mal eine erste Lektion aus „Schwabing für Anfänger“. Ja, doch – München könnte mal sowas wie meine Stadt werden.
Schließlich: Das Lustspielhaus. Und eine Operettenproduktion, die so beliebt ist, dass man ohne Reservierung nur relativ weit hinten einen Platz findet. Was allerdings nicht nur schlecht war. So konnten wir nicht nur in Ruhe immer mal wieder in die Timeline gucken und haben relativ zügig unser Bier bekommen, wir hatten auch einen sehr schönen Blick auf den Eingang. Was in meinem Fall heißt: Heldensichtungen.
Während der @stadtneurotikr und ich unsere kulturelle Sozialiserung mit der Hilfe von Franz Xaver Bogner und Co besprachen, kam der Star der Show, die huldvolle Luise Kinseher zur Tür herein geweht. Bereits jetzt war ich vom Abend als ganzes komplett Begeistert.
Als wenige Momente später ein junger Kerl, der mir irgendwie bekannt vorkam, durch die Tür trat, begann der Abend sensationell zu werden. Wir hatten, so schien es, die Vorstellung mit dem Insider-Publikum erwischt – schließlich hatte grade Stefan Dettl – LaBrassbanda-Frontmann, Trompeten-Genius und für das Arrangement der Inszenierung zuständig – das Lustpielhaus betreten. Und ja, mein Fangirl-Herz hat da schon recht fröhlich vor sich hin geschlagen. (Nicht, weil der jetzt mein Typ wäre. Das ist so eine Musiker-Sache. Sie wissen schon.)
Wir scrollen nochmal einige Minuten nach vorne, da geht Dettl (der auf mich in Jeans einfach nur befremdlich wirkt. Ohne Ghostbusters-Shirt und Lederhosen fehlt mir was.) zur Tür um jemanden die Hand zu schütteln. Moment, das ist doch… JESSAS.
Andreas Giebel noch so einer von der beeindruckenden Sorte. Der Außerdem hoffentlich bald wieder zusammen mit Madame Kinseher für München 7 vor der Kamera steht. (wem jetzt langweilig ist, der spielt einfach seven degrees of Luise Kinseher.) Den Rest des Abends war mein Kopf nebenher damit beschäftigt, worüber der Chef vom Lustspielhaus, Dettl und Giebl wohl geredet haben. (Vermutlich über Frau Kinseher. Gab’s auch allen Grund zu.)
Womit ich bei der Vorstellung selbst bin.
HACH. (um eine Twitter-Vokabel zu verwenden.)
Charme, Herz, Humor, Musik – alles da und zwar in rauhen Mengen. Das Arrangement für Tuba, Posaune und Trompete gibt den alten Songs Schwung, die Besetzung gab dem Ganzen viele Lacher und die Inszenierung war so flott (habe ich wirklich gerade flott geschrieben? Oh je. ) unterwegs, dass man zu keinem Zeitpunkt auch nur wagte auf die Uhr zu sehen.
Luise Kinseher ist genau die Art Rössl-Wirtin Josepha, die man haben möchte – da verzeiht man auch, dass das Singen nicht ihre größte Stärke ist (Und das Mieder vom Dirndl irgendwie glitzert. Glitzert!) Severin Groebner als Kellner Leopold ist die Essenz allen wienerischen. Er leidet und singt, dass es einem das Herz zerreißt, er ist großmäulig und unverschämt, aber dabei so charmant, dass man ihn schon nach wenigen Sätzen ins Herz schließt.
Dann ist da noch Bedienung Kathie, bzw. Klärchen, gespielt von Constanze Lindner. Die stiehlt jede Szene in der sie auftaucht – und dabei muss sie nicht mal reden. Physical comedy nennen die Engländer die rare Gabe, sich so zu verrenken, dass Menschen spontan in Gelächter ausbrechen. Und Lindner hat diese Gabe.
Dafür verzeihe ich dem Lustspielhaus, dass dort nur Spaten und Franziskaner ausgeschenkt wird. Man kann nicht alles haben.
P.S.: Hinweiße in Sachen gutes Kabarett, Theater und Co in München bitte jederzeit an mich. Dankschen.
- An dieser Stelle: Hallo Münchner Frauenwelt, die ihr euch doch immer über zu wenig gute Männer beschwert. Selber schuld, wenn so einer Single ist. Da wäre sogar der gemeinsame Kleiderschrank kein Problem! ↩