der Mann den sie Capitano nannten

Ich meine, ich hätte es wissen müssen.

Meinungen hat man im Internet auf eigene Gefahr

Sowas sagt man nicht einfach so. Nicht unter Fußballexpertentwitterern. Es entspann sich also eine Diskussion, hauptsächlich mit dem Stadtneurotikr und Probek, die ich beide sehr schätze. Nur, das ganze lief irgendwann doch in eine völlig falsche Richtung. Und das führt dann bei mir zum dringenden Bedürfniss mich viel zu auschweifend doch nochmal zu äußern. Lerneffekt ist was anderes.

Behauptung Nr. 1:

    Michael Ballack ist ein hervorragender Mittelfeldspieler mit außerordentlichen Offensivqualitäten.

Dazu: stimmt, widerspreche ich nicht.

Behauptung Nr. 2:

    Du kannst Michael Ballack einfach nicht leiden.

Stimmt auch, ein bisschen. Das liegt ein bisschen an ihm, ein bisschen am Hype und ein bisschen daran wie die Sache zwischen ihm und dem FC Bayern damals endete. (Und dann am Starnberger See heiraten, des hamma gern, zefix.)

Behauptung Nr. 3:

    Michael Ballack ist auf und neben dem Platz ein unumstrittener Führungsspieler. Und darum unersetzlich.

So zumindest sehen es bis heute große Teile des deutschen Sportjournalismus. Sie nennen ihn Capitano und Chef und preisen seine herausragende Stellung bei Chelsea London.
Es ist genau dieser Teil der Verehrung, der mich unleidlich macht. Nicht zuletzt, weil er dazu geführt hat, dass Herr Ballack dem Hype um seine Position erlegen ist und sich selbst für das Zentrum der Macht hält.
An dieser Stelle:

Behauptung Nr. 4:

    Michael Ballack ist ein Führungsspieler, sonst wäre er nach den Äusserungen zu seinem Kumpel Frings aus der Nationalmannschaft geflogen. Genauso wie Kevin.

Ach Leute. Jogi Löw ist vieles, aber nicht dumm. Er weiß sich hervorragend medial zu positionieren und hat ein gutes Gespür dafür welche seiner Entscheidungen wie populär ist. Michael Ballack aus der Nationalmannschaft zu verbannen, hätte die bereits erwähnte Journalistenschaar ins Delirium getrieben und gegen ihn aufgehetzt, unnötigerweise.

Nun, wie kam es eigentlich dazu, dass man bei BLÖD und Kicker ein Hohelied auf die Führungsqualitäten des Herrn singt?
Wir schreiben das Jahr 1998. Gerade war die frisch aufgestiegene Mannschaft des FC Kaiserslautern Deutscher Meister geworden, da scheiterte die Nationalmannschaft (damals amtierender Europameister) bei der WM in Frankreich relativ unsanft an Kroatien. Es war der harte Beweis für das Ende einer Ära. Im Kader damals: Kohler, Helmer, Matthäus (!), Häßler, Klinsmann, Bierhoff und Olaf Marschall.
Es sollte noch eine ungleich härtere Landung bei der EM 2000 brauchen, bis man beim DFB umdachte, aber Fußballschreiberlinge landauf, landab waren auf der Suche nach einem neuen Heiland. Nach jemandem, der das sich aufbauende Vakuum an Vorbildern füllen möge.

Sie fanden Michael Ballack. Er hatte sich in Kaiserslautern unter Otto Rehagel ins Blickfeld gespielt und galt als Zukunftshoffnung. Anders als z.B. Lars Ricken war Ballack weniger Ballzauberer, denn denkender Mitteldstratege. Es folgte die ultimative Lobhudelei des deutschen Fußballs dasistunserneuerBeckenbauer. Er wechselte nach Leverkusen und in Begleitung von Lucio, Ze Roberto, Schneider und Berbatov begann das Märchen von der Werkself die am Ende 2002 im Champions League – Finale stand. Und verlor.
Es begann sich eine bemerkenswerte Tragik in der Karriere von Herrn B. abzuzeichnen. Es ist natürlich Blödsinn zu behaupten die erstaunliche Ansammlung von zweiten Plätzen läge ausschließlich an ihm, gerade bei Chelsea später, aber, es ist das Futter aus dem große Artikel in Sportteilen bestehen. (Und bestätigt ironischerweise die Mähr vom bayerischen Siegergen, wo Michael Ballack half Finalspiele zu gewinnen.)

Und weil auf nationaler Ebene bis ins Jahr 2004 hinein entweder alte Recken a la Jeremies, Ramelow oder Hamann aufs Feld geschickt wurden, oder man fragile Hoffnungsträger wie Sebastian Deisler nicht unter Druck setzen wollte, fand sich der Mischael im Zentrum des Interesses wieder. Wo er bis heute geblieben ist, weil weder Klinsmann, noch Löw oder ein nachrückender Spieler bisher den Nerv hatten ihn ernsthaft in Frage zu stellen. (Erinnert sich noch jemand daran wie Rolfes es mal versucht hat? Und wie die Medien darauf reagierten? Quot erat, ihrwißtschon.)

Die deutsche Fußballnation hat, noch, den Wunsch nach einem „Leader“, dem Kerl der auf dem Platz die anderen auch mal anschreit und zu Höchstleistungen antreibt. Nur, genau der ist Michael Ballack wiederrum nicht. Seine Spielweise ist offensiv und dadurch ist er sehr present, keine Frage. Aber gerade mit Blick auf jemanden wie Thorsten Frings, der, wechselnde Form mal dahingestellt, genau diese Qualitäten völlig natürlich mitbringt, wird offensichtlich, dass Michael Ballack als Boss fehlbesetzt wirkt.

Aber, und vorsicht, ab hier enthält dieser Blog einen erhöhten Meinungsanteil, ich glaube, hätten die Medien Michael Ballack nicht in den mageren Jahren des deutschen Fußball derartig gepusht, müssten wir uns heute nicht mit den Diskussionen um seine Allmacht herumschlagen.
Er wäre immernoch ein außerordentlicher Fußballspieler, aber nicht zwangsläufig Kapitän und Sprachrohr der deutschen Nationalmannschaft.

Dort zeigt sich gottseidank, eine organische Entwicklung hin zu einer etwas moderneren Hierarchie. Denn wohin man auch schaut, viele erfolgreiche Mannschaften haben sich vom Modell erste Geige verabschiedet und spielen lieber als ganzes Orchester. Verantwortung wird geteilt.

Mit Lahm, Schweinsteiger, Özil und Mertesacker, um nur ein paar zu nennen, gibt es eine Reihe von Spielern die in ihren Vereinen wichtig für das Teamgefüge sind und bereits viel Erfahrung mitbringen. Und bevor man mir hier ins Wort fällt,

Behauptung Nr. 5:

    Wenn der moderne Fußball keinen Leader mehr braucht, was ist dann mit Mark van Bommel?

Rhetorische Falle, ick hör dir trapsen. Das sensationelle an Mark van Bommel ist ja eigentlich, dass er kein genialer Fußballer ist. Keine Tricks, wenig Zuckerpässe, alles sehr solide. Und um dieses Manko auszugleichen entwickelt er sich auf dem Platz zu einem kaum zu kontrollierenden Temperamentsbolzen, der auch die eigenen Teammitglieder nicht verschont.
Und gehört damit zu einer aussterbenden Art.
Überhaupt findet sich hier ein sehr schönes Gegenbeispiel. Beim FC Bayern spielt neben dem Herrn van Bommel auch Arjen Robben, ein Fußballgenie vor dem Herrn. Wenn er ausfällt, ist Bayern spielerisch nachhaltig geschwächt.
Aber das Team rückt zusammen und kompensiert. Nicht zuletzt, weil van Bommel sie dazu antreibt.

Wenn in der deutschen Nationalmannschaft Michael Ballack ausfällt, ist das spielerisch ein Rückschlag. Aber fehlt er als Chef, als Antreiber auf dem Rasen?

Ich glaube nicht. Und ich habe die Hoffnung, den geradezu dringenden Wunsch, dass nach der WM 2010 die Ära des Capitano vorbei ist und man nicht sofort den nächsten Spieler per Medienkampagne zum Obermufti ernennt, nur weil es einem sich langweilenden Redakteur gerade so passt.

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