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Liebe ARD, wir müssen reden

und ich sage das als Fan eurer Anstalt. Als ich während des Studiums nämlich keinen Fernseher hatte, habe ich gemerkt wie verzichtbar das komplette Privatfernsehen ist. Ich hasse Scripted Reality, ich kann ohne Casting-Shows [1. Wobei die öffentlich rechtlichen wohl beschloßen haben, dass es für jede private Casting-Show eine Quiz-Show geben sollte die mindestens Barbara Schöneberger moderiert und in der Tiere/Wissenschaftler/Jörg Pilawa vorkommen sollten.] leben (ja ich geb's ja zu, ich gucke The Voice, aber meine Güte) und selbst die Serien die dort importiert werden (Two and a half man? Igitt.) guck ich im Zweifelsfall lieber zeitnah im Original oder via DVD. Nicht verzichten wollte ich auf Nachrichten und die Sportschau, auf Quer beim Bayerischen Rundfunk und 3sat (3sat rockt!). Manchmal schau ich den Tatort. Den aus Münster, mit ein bisschen Alkohol. Den aus München, weil München halt. Und ich mochte die Idee vom undercover-Krimi aus Hamburg. Die Marke Tatort ist eine ziemlich starke, das sehe ich sofort ein. Aber wisst ihr, was der Tatort nicht ist? Ein Allheilmittel. Der komische Kauz in Kiel, der unerträgliche Til Schweiger und jetzt auch noch "Event-Tatort" aus Weimar mit Tschirner und Ulmen. Versteht mich nicht falsch: Ich bin für mutiges Casting, jederzeit. Dafür, dass die wenigen guten Schauspieler der Republik auch ihrer Rollen und mal größeres Publikum bekommen. I get it. Nur: Wo ist der Rest? Wo ist die Serie die im Berlin der 20er Jahre spielt, am besten hinter den Kulissen des Kulturbetriebs? Wo ist die Familiensaga über den Ruhrpott der 60er Jahre, als die Arbeiter aus ganz Europa kamen. WO SIND DIE GESCHICHTEN? Und kommt mir jetzt nicht mit euren tragischen Fernsehfilmen, die immer auch mit Holzhammer-Subtilität irgendeine Botschaft vermitteln müssen. Bleibt mir weg mit den historischen Mehrteilern in denen die Bettina Zimmermanns dieser Welt sich zwischen zwei Kerlen entscheiden müssen. Aber nein, Krimis müssen es sein, weil der doofe Zuschauer angeblich nicht anderes will. Nirgendwo. Der ARD-Vorabend: eine Ansammlung mittelmäßig bis miserabler Regionalkrimiserien, beim ZDF wird in Rosenheim und Garmisch ermittelt, auf hoher See und mit irgendwelchen SOKOs. Ich hab da mal etwas zusammen gestellt. Wir betrachten kurz das Programm von ARD und ZDF vom kommenden Montag bis zum Donnerstag, jeweils zwischen 18:00 Uhr und 22:00 Uhr. Also eine Zeit in der relativ viele Menschen Fernsehen. [caption id="attachment_3449" align="aligncenter" width="521"] ARD Programm [/caption] [caption id="attachment_3450" align="aligncenter" width="514"] ZDF Programm[/caption] Und jetzt streichen wir Nachrichten, das Wetter und alles was zumindest so tut als ob es ein Krimi wäre. [caption id="attachment_3449" align="aligncenter" width="521"] ARD Programm [/caption] [caption id="attachment_3450" align="aligncenter" width="514"] ZDF Programm[/caption] Wie gesagt, Montag bis Donnerstag. Ohne Tatort, ohne Freitagskrimi oder oder oder. Wenn man jetzt noch in der obigen Grafik auf alles verzichtet, das keine Fiktion ist bleiben 'Verbotene Liebe' und 'In aller Freundschaft'. Oh, und 'Rommel' natürlich. Klar, Krieg geht immer. Dunkle Vergangenheit und Familiendramen. Bloß keine Unterhaltung. Bloß keine lockeren erzählten Geschichten mit fortlaufender Handlung. Wenn es lustig werden soll dreht ihr eine 'romantische Komödie' in der Sabine Postel oder Friedrich von Thun zueinander finden. Böser Kapitalismus, guter kleiner Laden oder so. Das nennt ihr dann Programmvielfalt, nämlich. Aber hey, es gibt ja das Internet. Ich schalte also von Montag bis Donnerstag nicht den Fernseher ein, da ich dank amerikanischer Serienvielfalt 'Revenge', 'Homeland', 'The Good Wife' (Das ist allein schon Montags verfügbar) und in den Tagen darauf 'How I met your mother', 'Sons of Anarchy', 'Nashville', 'Suburgatory', 'Supernatural' und 'Arrow' sehe. Man kann jetzt darüber streiten ob die Biker-Serie 'Sons of Anarchy' ins Krimi-Genre fällt oder 'Homeland' nicht eigentlich ein Thriller ist. Und bevor ihr hier mit dem Kohle-Argument kommt: Auch ein Tatort kostet Geld und die BBC in England hat nicht annähernd euer Budget bekommt es aber trotzdem hin. (Sherlock, Misftis, Doctor Who, Luther - ja, ein Krimi, aber eben anders.) Trotzdem: Ein Haufen unterschiedlicher Geschichten. Wenn RTL eine Serie macht, dann sieht das aus wie 'Cobra 11 die Autobahnpolizei' [2. Zugegebenermaßen hat man sich dort aber auch getraut Bora Dagtekins 'Doctors Diary' zu bringen. Eine nicht-krimi-Serie die auch noch lustig war. Schockschwerenot.]. Ich traue mir eine Wette zu, dass die ARD dieses Niveau schlagen könnte. Und sei es nur mit einer deutschen Variante von '6 Feet Under', einer Serie über einen Bestattungs-Familienbetrieb. Da hätten wir auch jede Menge Leichen. So ganz ohne Krimi. Ihr könnt schöne Dokumentationen mit niedlichen Tieren, ihr könnt hin und wieder Magazine und Reportagen. Talk-Shows konntet ihr mal, dann habt ihr euch von den Moderatoren respektive Produzenten alles aus der Hand nehmen lassen und jetzt dilettieren die vor sich hin. Ich sag es ungern: Aber ihr verliert gerade eine ganze Generation an Zuschauern die lieber das vierte Mal die DVD-Box von 'Friends' aus dem Regal holt anstatt sich Günther Jauch anzusehen. Eine Möglichkeit sie wieder zurück zu holen wären gute Geschichten. Geschichten die das amerikanische Fernsehen nicht erzählen kann, weil sie davon keine Ahnung haben. Wenn mich das Internet eines gelehrt hat, dann das: Die Geschichten sind da. Und Leute die sie erzählen können auch. Lasst sie einfach mal machen und hört auf alle Lücken mit dem Label Krimi zu füllen. Ihr ruiniert es nämlich. P.S.: Wenn ihr noch mehr Ideen braucht, ich komme gern mal zum Brainstorming vorbei, Bussi!
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Gelesen KW 42

Gesammelt bei Quote.fm. Und heute mit ganz vielen tollen Reaktionen auf mein kleines Lesegeständniss.
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Allerheiligen

"Ja, ja aber ihr könnt mich Allerheiligen nicht allein stehen lassen. Dann bekomme ich wieder Mitleidshandschläge. Und die Blicke erst!" Weil die E., meine Tante ist jetzt über die 60 und achduje, alleinstehend und sie sieht zwar aus wie Ende 40 mit ihrem Kaschmirpullover und fast faltenlos (wie alle Frauen auf der Seite der Familie. Ich bete täglich dieses Gen erwischt zu haben.), aber wenn nicht meine Mutter, die R. (meine viel zu schöne Schwester) und ich Allerheiligen neben ihr stehen, am Grab meiner Großmutter und des Großvaters den ich nie kennen gelernt habe und Urgroßmüttern und Urgroßvätern die sich zum Teil gegenseitig unter die Erde gebracht haben (weil, wenn nicht vom eigenen Ehemann erschlagen werden die faltenlosen Frauen dieser Familie auch noch immer mindestens 86 Jahre alt. Mindestens.), dann jedenfalls, gucken die Leute so ein bisschen mitleidig. Was Blödsinn ist, weil eines Tages so zu leben wie meine Lieblingstante E., damit wäre ich hochzufrieden. Die einzigen Dinge die es immer zuverlässig in ihrer Küche gibt sind Wein, Schokolade und Vitaminpräparate. Und Zigaretten, jetzt wieder, seit das Rauchen überall verboten ist. Da hat sie wieder damit angefangen. Sie arbeitet noch und im Büro fürchten sie die richtigen Leute. Weil sie zuverlässig und patent und grade raus ist. Jedenfalls, Allerheiligen. Wir reden hier natürlich vom dörflichen Bayern, von einer Ecke die früher ein eigenständiges Dorf war und jetzt irgendwie zu Bad Aibling gehört, darum gehört man ja noch lang nicht wirklich dazu. An Allerheiligen kommen sie alle, aus München und Rosenheim und vom Ferienhaus in Garmisch und Tage vorher schon hat jemand das Grab hergerichtet. Das ist dann auch DAS Small-Talk Thema. Besonders bei denen die gar nicht erst in die Kirche gehen, sondern langsam durch den Friedhof schlendern und hier und da hallo sagen, was man halt so macht wenn man sich nur einmal im Jahr sieht. Wer hat was gepflanzt und wie sieht das aus und da ist schon wieder ein Loch in der Hecke am Rand, ja tut den keiner was gegen die elendigen Hasen? "Unser" Grab ist auf der kalten Nordseite, am Rand gleich neben der Kirche. Gottseidank, da steht keiner lang gern der nicht dazu gehört. Trotzdem schüttele ich jedes Jahr wieder Hände völlig unbekannter Menschen. Ach, mit dem Dings ist die Mama noch in die Schule gegangen und die Gitte hatte letztens ein Klassentreffen organisiert, aber wir haben niemanden erreicht und wir sind ja auch nur noch 12 die noch leben. Mit Einigen (fast allen, so scheint es) sind wir auch irgendwie verwandt. Da war jahrelang die M., eine Cousine meiner Mutter, aber so unterschiedlich können Familienzweige sein. Vor einigen Jahrzehnten hätte die Großtante A. eigentlich meiner Mutter und der Tante E. Land vererben wollen, aber dann hat die Cousine M. sie so lange gepflegt bis sie das gesamte Erbe hatte, mit dem kleinen Häusl und dem ganzen Grund und dem Schmuck. Aber Karma, gell. Weil, als die M. und ihr Mann vor zwei Jahren plötzlich an Allerheiligen nicht kamen und über beide Backen grinsend unsere Hände schüttelten stellte sich kurz darauf heraus, dass die M. ganz arges Parkinson bekommen hat. Es ging ganz schnell, plötzlich konnte sie nicht mehr laufen. Und, mei, wir sagen nix, aber die Mundwinkel zucken bei allen denen die M. im Laufe ihres Lebens böse nachgeredet hat. Und dann ist da noch die V. und ihre Schwiegermutter, die um irgendein Eck (ich glaube eingeheirateterweise) auch die I. näher kennt, die früher da war und mit der ich über genug Ecken wohl auch verwandt bin. Aber dann hat die I. Karriere gemacht. München, Berlin und ja mei bald wieder München. So viele Termine, der Wahlkreis und ach, aber wahnsinnig stolz sind sie daheim alle. Nach dem Unglück der Tante (Cousine? Ich habe längst den Überblick verloren.), die vor vielen vielen Jahren mit ihrem Soldaten (der ein General war, aber naja, ein Amerikaner.) in die USA gegangen ist. Und zuerst im furchtbaren Florida gelebt hat und dann in Dallas landete, bis dann die Kinder ausgezogen sind und sie war drauf und dran entweder an die Ostküste zu ziehen oder sogar nach Europa zurück zu kommen, als der Krebs kam. Das muss ihr unglückliches Leben gewesen sein, weil sonst niemand in der Familie jemals irgendeinen Krebs hatte. Nein, so ein Unglück und alle stehen da und schütteln eine halbe Sekunde lang betroffen den Kopf. Aber dann muss sie Platz machen für eine größere Gruppe, die zwischen Kirche und unserer Gräberreihe durch will. Zu dem relativ frischen Grab weiter hinten. Noch mit Holzkreuz und schwarzem Band und schon beim vorbeigehen drehte sich mir der Magen um, weil das Geburtsjahr unter dem Foto 1994 eine eigene Tragödie erzählt und mir sowas die folkloristische Freude an Allerheiligen immer vollkommen verdirbt. Da rette ich mich nur noch durch die Prozedur und den heftigen Geruch des Weihrauchs mit dem der Pfarrer nach der Kirche durch die Gräberreihen schreitet. An guten Tagen, ohne so ein Grab machen die R. und ich uns den Spaß die Ministranten böse anzustarren, bis manchmal einer stolpert. Aber die werden auch immer abgebrühter. Die Bläsergruppe steht außerdem in so einem schrägen Winkel zu uns, fast auf der anderen Seite der Kirche, dass der Wind auch noch die paar ordentlichen Töne verzerrt und dann frag ich mich immer kurz ob ich nicht eigentlich in einem Film bin, denn so jemand wie der Schwarzenberger inszeniert. Weil das komische Potential ist auf jeden Fall da. Und dann geben wir alle noch ein bisschen Weihwasser auf das Grab und fahren zur E., wo es Kaffee und Kuchen gibt. Wir witzeln, dass sie für uns nicht so einen Aufwand mit der Torte betreiben hätte müssen. (Die E. hat in ihrem ganzen Leben noch nichts gebacken. Sie ist mehr der Bohrmaschinentyp. Darum ist sie aber nicht alleinstehend. Sie mag nur nicht wie anhänglich Männer schnell werden.) Dann trinken wir noch Wein und sagen natürlich nichts böses über die M. und ihr Parkinson und ich gebe zu, ich mag die Rituale. Am Tag darauf verfalle ich normalerweise in einen mehrstündigen Rant gegen die katholische Kirche. Das muss eine Reaktion meines Immunsystems sein. Doch, ja. Natürlich kommen wir Allerheiligen vorbei.